Seitenblick - Der Newsletter von Odysseus Kinesiologie & Coaching

Lebendig sterben, Brad Pitt und reife Männlichkeit

Meine Themen heute für Sie: Die Frage aller Fragen: Wie wollen Sie sterben? | Sehr gesucht: reife Männlichkeit | Dümmliche Intelligenz, die Zweite | Warum Odysseus? Brad Pitt kennt die Antwort | Ein Gemälde für Sie: „Vertigo“ | Der Dichter spricht: Ich weiß, daß nichts vergeht … Viel Vergnügen beim Lesen. 

Eine Bitte: Wenn Sie jemand kennen, den das, was ich hier erzähle, interessiert, leiten Sie ihm diesen Newsletter weiter. Dankeschön.

Wolfgang Halder, Odysseus Kinesiologie & Coaching

Wollen Sie auch lebendig sterben?

Älter werden wir jeden Tag. Irgendwann sind wir alt, egal wie wir „alt“ definieren. Von Freunden und Bekannten höre ich, daß ihnen der 60. Geburtstag besonders schwer im Magen liegt, über die Leber läuft oder an die Nieren geht.

Nebenbei bemerkt: An diesen Organ-Sprachwendungen zu Magen, Leber und Niere sehen wir, daß das Wissen der alten Chinesen auch bei uns gang und gäbe war – bevor es weggebissen wurde von der Maschinen-Medizin …

Zurück zum Alter: Mit 40 konnte man sich noch sagen: „Ich hab meine halbes Leben noch vor mir“. Mit 50 sind es immerhin noch 30 Jahre – gemäß den Lebenserwartungs-Berechnungen der Versicherungs-Mathematiker. Doch mit 60 wird einem bewußt, daß man auf der schiefen Ebene Richtung Tod schon ziemlich weit unten ist. Und gefühlt rutscht man immer schneller

An dieser Stelle ein kurzer Ausflug in die Philosophie: Die Stoiker erklärten vor 2.300 Jahren: „Leben heißt sterben lernen“. Michel de Montaigne hat das im 16. Jahrhundert abgewandelt in: „Philosophieren heißt sterben lernen.“ Martin Heidegger setzte vor rund hundert Jahren noch einen drauf und verkündete, unser ganzes Leben sei „Sein zum Tode“.

Hilft uns das? Ich glaube nicht. Daß wir sterben werden, wissen wir alle, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen, denn sterben tun immer die anderen – bis wir selbst an der Reihe sind. Dann merken wir, daß wir keine Ausnahme sind.

Die entscheidende Frage ist: Wie sterben wir? Besser noch: Wie wollen wir sterben? Und da betritt der englische Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald Winnicott (1896-1971) die Bühne. Von ihm stammt mein Lieblings-Gedanke zum Thema: „May I be alive when I die!“  –  Möge ich lebendig sein, wenn ich sterbe.

Damit feiert Winnicott die Bedeutung des Lebendigseins. Denn viele Menschen sind ihr ganzes Leben lang tot. Also genau genommen unsterblich: weil sie nie gelebt haben …

Laut den Taoisten brauchen wir 25 Prozent unseres Jing zum Sterben. Das vorgeburtliche „Jing“ ist unsere in den Nieren gespeicherte Lebens-Essenz, die wir von unseren Eltern bekommen. Sie kann nicht vermehrt, sondern nur schnell oder langsam verbraucht werden. 

Alkohol, Streß, Kaffee, negative Gefühle und Gedanken und schlechter Sex sind Jing-Fresser, bringen uns dem Tod also schneller nahe. Schönheit, guter Sex, gute Gefühle und Gedanken sind Jing-Bewahrer.

Mit anderen Worten: Zum guten Leben gehört das gute, das lebendige Sterben. Ob uns das möglich ist, haben wir selbst in der Hand: Tag für Tag – durch unsere Lebenweise.

Daß immer weniger Menschen den Mut zum eigenen Leben und zum eigenen Tod haben, hat Rilke schon vor rund hundert Jahren formuliert: „Der Wunsch, einen eigenen Tod zu haben, wird immer seltener. Eine Weile noch, und er wird ebenso selten sein wie ein eigenes Leben.

PS: Dieser Beitrag ist einer Freundin gewidmet, die am 10. März 60 wurde.

Quartett der gereiften Männlichkeit 

Ihn suchen alle Frauen: den reifen Mann. Ob im Freundes- oder Bekanntenkreis oder bei Klientinnen: die Stellenbeschreibung für Männer als Partner lautet immer gleich: erwachsen, souverän, reflektiert, gelassen, empathisch, humorvoll, mit beiden Beinen auf dem Boden, der Fels in der Brandung. So soll er sein, der Mann fürs Leben.

Hier wie überall kommt es auf die Balance an: Ein Zuviel schadet ebenso wie ein Zuwenig. Der amerikanische Psychoanalytiker Robert Moore hat daraus eine Art Kartenspiel gemacht, ein Quartett der reifen Männlichkeit. Es hat vier Karten: König, Krieger, Magier, Liebhaber.

Ich würde das gemäß meinen Erfahrungen zu einem Sextett ergänzen: mit Handwerker und Automechaniker. Diese beiden Funktionen hätten viele Frauen gern noch obendrauf. Gar nicht so wenige Damen würden dafür sogar auf den Liebhaber verzichten – Hauptsache, er mäht den Rasen und macht den Ölwechsel

Zurück zu Moores Quartett. Die vier Ausprägungen sind der gereife Status, wenn ein Mann in Balance ist: Der König ruht in sich, ist zuverlässig und gerecht. Der Krieger kann unterscheiden, kämpft für die Wahrheit, verteidigt die Grenzen, hat Selbstdisziplin. Der Magier versteht die Seele, hat Weisheit und Bewußtsein. Der Liebhaber lebt für Schönheit und Geschmack, jenseits von Pflichten und Zwängen – mit ihm wird es nie langweilig.

Da die meisten Männer die Reifestufe (noch) nicht erreicht haben, fallen sie unter die Kategorien „Zu viel“ oder „Zu wenig“. Und wenn Sie, werte Leserinnen, sich diese Kategorien hier anschauen, erkennen Sie die prägenden Männer ihres Lebens wieder, angefangen beim Vater oder Bruder

Zu wenig König: Schwächling
Zu viel König: Tyrann

Zu wenig Krieger: Masochist
Zu viel Krieger: Sadist

Zu wenig Magier: Ahnungsloser (passiv agressiv)
Zu viel Magier: Manipulateur

Zu wenig Liebhaber: Impotenter
Zu viel Liebhaber: Süchtiger

Mit geschärftem Blick können Sie nun die Männerwelt betrachten – sei’s im Außen (Arbeitsplatz, Sportstudio, Supermarkt …) oder zu Hause am Eßtisch und im Bett – und sich überlegen, ob ein gereifter Herzbube dabei ist, der König, Krieger, Magier und Liebhaber in Vollendung in sich vereint. Oder zumindest ein Handwerker. Den könnte ich auch gebrauchen …

Nochmal zur künstlichen Intelligenz ...

Vor zwei Wochen bin ich an dieser Stelle der sogenanten künstlichen Intelligenz (KI) mit Vollgas an den Karren gefahren (das können Sie hier nachlesen). Dazu bekam ich zahlreiche Reaktionen. Viele meinten, ich sei zu streng mit der KI ...

Da kam es mir gerade recht, daß der Anbieter meines Newsletter-Versand-Systems nun einen KI-Text-Generator integriert hat, der auf Klick Newsletter-Texte erzeugt. Also machen wir eine kleinen Wettkampf: Oben steht mein Text zum Thema „Lebendig sterben“, hier kommt der, den der Text-Generator „geschrieben“ hat:

Tod ist ein Thema, das viele von uns zu vermeiden versuchen. Der Gedanke, dass wir unausweichlich sterben müssen, ist schmerzlich. Aber was, wenn es eine Möglichkeit gibt, dass unser Tod, in gewisser Weise, lebendig wird?

Lebendig sterben bedeutet, gelebtes Leben in eine Form zu gießen, dass es für andere nachhaltig wird. Man kann dies in vielerlei Hinsicht tun, sei es durch direktes Engagement in der Gemeinde, durch Geschenke an Familien und Freunde, durch finanzielle Unterstützung für notleidende Menschen oder sogar durch einfaches Teilen von Ideen, Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen.

Lebendig zu sterben bedeutet, dass wir uns aktiv dafür entscheiden, gelebtes Leben anderen zu geben und so ein lebendiges Erbe zu hinterlassen, das markanter ist als eine traditionelle Beerdigung. Wir können zeigten (sic!), dass es möglich ist, dass unser Leben lange nach unserem Tod weiterlebt.

Als ich das gelesen habe, dachte ich: Von wegen „zu streng“! Wer einen „Teekanne“-Teebeutel für Tee hält, der hält auch diese Buchstaben-Ansammlung für einen Text. Hier ein paar Anmerkungen, warum ich das anders sehe:

Falsche Sprach-Logik:Aktiv entscheiden“ ist unsinnig. Entscheiden ist immer aktiv, ein passives Entscheiden gibt es nicht.

Unsinn: Der ganze letzte Absatz ergibt keinen Sinn.

Korrektheits-Vokabular: „nachhaltig“, „Engagement“.

Unbeholfen: Alles klingt hölzern und bemüht, als schreibe jemand in einer Fremdsprache. Es fehlen Rhythmus und Melodie, Spannungsbögen und Dynamik. Hier zeigen sich die Folgen des Informatiker-Irrtums, Sprache sei vornehmlich ein Mittel der Informationsübertragung, besonders eklatant. Oder, um es mit Nietzsche zu sagen: „Den Stil verbessern – das heißt den Gedanken verbessern".

Vor allem geht mir bei den KI-Texten diese unsägliche Biederkeit auf die Nerven. Dieses brav gescheitelte Schwiegermutters-Liebling-Gesäusel. Unerträglich nett, lang und weilig. Ohne jeden Witz (im Sinne des 18. Jahrhunderts: also „Esprit“), kein Feuer, kein Leben

Das ganze Unternehmen „künstliche Intelligenz“ ist ein Angriff gegen „das Geheimnis unseres Lebens“ (Rilke).

Warum Odysseus?

Warum meine Praxis „Odysseus“ heiße, werde ich immer wieder gefragt. Weil Odysseus der erste Mensch mit Bewußtsein war. Im Unterschied zu Achill, der noch vorbewußt blind den Stimmen der Götter folgte. Darum geht es auch bei mir: Bewußtwerdung als ein Weg, um besser, lebendiger, erfüllter zu leben – und zu sterben (siehe oben). 

Bewußtsein gibt es erst seit rund 3.000 Jahren – der Schritt von der „Illias“ zur „Odyssee“ dokumentiert diese vollkommen neue Weltwahrnehmung der Menschen. Deshalb sind wir darin noch so ungeübt. Jahrhunderttausende des bewußtlosen Befolgens von Anweisungen (in Form von Stimmen der Götter, der Führer) ist unser Normalzustand. Das haben uns die letzten Jahre wieder deutlich vor Augen geführt.

Als ich einer Bekannten – Anfang Dreißig, Hochschulabschluß, oberes Drittel der Einkommenspyramide, auf Facebook und Instagram aktiv – von Odysseus und Achill erzählte, guckte sie mich verständnislos an. Plötzlich leuchteten ihre Augen auf: „Achill – das war doch der Film mit Brad Pitt!

Soviel zum Bildungsniveau unserer „Eliten“  – wer will, darf bei diesem Thema gern an Frau B. und Herrn H. denken … Meine Tochter, nur wenig jünger als die zitierte Klientin, konnte schon im Kindergarten vom trojanischen Krieg und den Abenteuern des Odysseus erzählen …

Was Sie davon haben, wenn Sie durch ein kinesiologisches Coaching vom zerstörerischen Achill-Modus in den Odysseus-Modus voller Freiheit, Leistungskraft und Lebensfreude gelangen, habe ich auf meiner Internetseite dargestellt.

Dabei arbeite ich immer eingedenk der Erkenntnis Rilkes: „Die Lage eines Menschen bessern wollen, heißt, ihm für Schwierigkeiten, in denen er geübt und erfahren ist, andere Schwierigkeiten anbieten, die ihn vielleicht noch ratloser machen.“

So sind Sie als Odysseus …

Mein Michelangelo (6): „Vertigo“

Hier stelle ich Ihnen weitere Werke des Malers meiner Praxis-Gemälde, Frank Krüger, vor. Heute: "Vertigo" (Öl auf Leinwand, 40x40 cm).

Meine Assoziationen dazu: Hitchcock – schöne Blondine – am Wendepunkt – Hemd statt Hoodie – Clark Kent ohne Brille – Hoppla! – zu spät – Hilf mir! – Abwehr links – Haltung bewahren – halb zog sie ihn, halb sank er hin – „Jeder gehört nur sich allein“ (Rilke). Wie geht's Ihnen mit diesem Bild?

Lesefrucht: Dichter kennen die Seele

Was ist ein Dichter? Die beste Antwort darauf stammt – natürlich – von einem Dichter und nicht von einem KI-Generator, von Hermann Hesse: „Es ist des Dichters einzige Aufgabe, Diener, Ritter und Anwalt der Seele zu sein“. Genau das sollte ein guter Coach auch sein.

Einer der größten Diener, Ritter und Anwälte unserer Seele war Rainer Maria Rilke. In seinem Gedicht „Wenn die Uhren so nah“ von 1898 (ein Jahr vor Freuds „Traumdeutung“!) erfaßt Rilke Seelen-Phänomene, an denen sich die Psychologie bis heute mühsam abarbeitet: frühkindliche Störungen, transgenerationale Weitergabe seelischer Wunden, Bindungstypen, Neuro-Epigenetik, Trauma-Forschung – und das ohne Excel-Tabellen, Schaubilder und Powerpoint-Einschlaf-Präsentationen …

Und, liebe KI-Programmierer: Wenn Ihr verstehen wollt, warum ein GedankenstrichGedankenstrich“ heißt, lest Rilke. 

Die Fettungen im Text sind von mir. Vorhang auf:

Wenn die Uhren so nah
wie im eigenen Herzen schlagen,
und die Dinge mit zagen
Stimmen sich fragen:
Bist du da? :

Dann bin ich nicht der, der am Morgen erwacht,
einen Namen schenkt mir die Nacht,
den keiner, den ich am Tage sprach,
ohne tiefes Fürchten erführe

Jede Türe
in mir gibt nach...

Und da weiß ich, daß nichts vergeht,
keine Geste und kein Gebet
(dazu sind die Dinge zu schwer)
meine ganze Kindheit steht
immer um mich her.
Niemals bin ich allein.
Viele, die vor mir lebten
und fort von mir strebten,
webten,
webten
an meinem Sein.

Und setz ich mich zu dir her
und sage dir leise: Ich litt 
hörst du?

Wer weiß wer
murmelt es mit.

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