Seitenblick - Der Newsletter von Odysseus Kinesiologie & Coaching

Lebenslüge Online-Coaching, fallende Blätter und KI-Unsinn

Meine Themen heute für Sie: Online-Coaching: Nur der Anbieter hat was davon | Vorsicht, 40. Geburtstag! Zahlen-Terror beim Kinderwunsch | Heilsame Schönheit: Bäume tun uns gut | Blätter und Weisheit | KI als Therapeut? Eine Katastrophe! | Viel Vergnügen beim Lesen.

Dieser Newsletter ist zu 100 Prozent frei von KI. Was Sie hier lesen, ist auf meinem Mist gewachsen. Und bekanntlich wachsen auf dem Mist die schönsten Rosen.

Eine Bitte: Wenn Sie jemanden kennen, den das, was ich hier erzähle, interessiert, leiten Sie ihm diesen Newsletter weiter. Dankeschön!

Wolfgang Halder, Odysseus Kinesiologie & Coaching

Warum ich kein Online-Coaching mache

Kürzlich fragte mich ein Klient beim Erstkontakt am Telefon, ob ich auch Online-Coaching mache. Ich antwortete: „Nein, denn sie hätten nichts davon. Und ich will Ihnen nichts verkaufen, was nur für mich einen Nutzen bringt. Da bin ich ganz altmodisch.“ Er war verdutzt, und ich erzählte ihm in etwa das, was ich hier jetzt schreibe. 

Das Netz ist voller Saulus/Paulus-Bekehrungs-Erlebnisse bezüglich Online-Coaching. Coaches erzählen mit flammenden Zungen, wie sie, die sie zuerst sehr skeptisch gewesen seien, in den Corona-Maßnahmen-Jahren notgedrungen mit Online-Coaching begannen, sich mit dem „neuen Normal“ dann arrangierten, um schließlich die digitale Coaching-Simulation als das Non-plus-ultra anzupreisen und zu jubilieren: „Ich will nichts anderes mehr“.

Das ist verständlich, denn die Coaches sind die einzigen, die was vom Online-Coaching haben. Dazu später mehr.

Welche Argumente haben die Verfechter des Online-Coachings? Was da kommt, ist unfaßbar dünn gestrickt und betrifft nur Äußerlichkeiten:

  • Klienten könnten flexibel teilnehmen,
  • die Sitzungen besser in ihren Alltag einpassen,
  • Coaching funktioniere überall, wo Internet sei,
  • Klienten hätten die Möglichkeit, Sitzungen aufzuzeichnen,
  • und die Klienten hätten keinen Zeitverlust durch Anreise. 

Alle Argumente sind oberflächlich organisatorischer Art. Und selbst da greifen manche nicht: Das Argument, mit der Aufzeichnung von Sitzungen sticht nicht, denn man kann auch bei jedem Präsenz-Coaching ein Aufnahmegerät mitlaufen lassen. Der amerikanische Psychotherapeut Irvin Yalom hat das schon in den 1970er Jahren gemacht. Also kein Punkt fürs Online-Coaching.

Fetisch Bequemlichkeit 

Letztlich laufen die angeführten Vorteile auf einen Punkt hinaus: Bequemlichkeit!

Bequemlichkeit ist der Gold-Standard der Online-Welt. Da kann ich nur den Kopf schütteln. Viele Menschen fliegen, ohne mit der Wimper zu zucken, 13 Stunden nach Thailand, um dort zehn Tage Urlaub zu machen, von dem nach kurzer Zeit nur ein paar Fotos, Postings und Erinnerungen übrig sind.

Dieselben Menschen sind nicht bereit, eine halbe oder eine Stunde Anfahrt für ein Coaching aufzuwenden? Ein Coaching, das, wenn es gut läuft, ihr Leben für immer verbessert.

Warum gucken diese Menschen sich Thailand nicht online per Video an? Warum begnügen sie sich beim Urlaub nicht auch mit der digitalen Simulation? Wozu sich die Mühe machen und umständlich hinfliegen? Man sieht online doch alles, was wichtig ist, und bekommt alle Informationen zum Land.

Wer meint, Urlaub müsse in der Realität und mit der ganzen Person stattfinden, bei einem Coaching dagegen sei das egal, der zeigt damit, daß er ein Coaching bitter nötig hat. Ein Coaching, in dem er lernt, Prioritäten zu setzen, ein Coaching, in dem ihm der Unterschied zwischen unreifer, infantiler, schneller und bequemer Befriedigung und wirklicher Bemühung um persönliches Wachstum klar wird.

Wer Kontakt zu sich hat, der begreift schon die Anfahrt zu einem Coaching als eine Art Schleuse, die ihn aus dem Alltag enthebt und ihn bereitmacht für das Wunder, das sich in einer Coaching-Sitzung ereignen kann. Die Ortsveränderung ist eine Art Geburtskanal – das Hockenbleiben vor dem Computer in vertrauter Umgebung ist schon rein äußerlich die Manifestation, daß jemand nichts wirklich verändern will, sich aber trotzdem besser fühlen möchte.

Wer sich keine Zeit nimmt für ein Coaching, der will es nicht wirklich, der macht es nebenher, der hakt es ab wie einen Reifenwechsel-Termin.

Coaching als Kopfschmerz-Tablette

Online-Coaching ist somit Ausdruck eben der krankmachenden Lebensweise, wegen derer Menschen in ein Coaching kommen, weil sie sich Linderung erhoffen: der Mensch als Maschine im Effizienz-Wahn und dem damit verbundenen unbarmherzigen Funktionieren-Müssen.

Da muß auch das Hilfsmittel schnell und bequem sein. Wie eine Kopfschmerz-Tablette. Mit anderen Worten: Online-Coaching verstärkt gerade das, was es lindern sollte und macht den Bock zum Gärtner.

Worauf gründe ich mein Urteil? Auf eigenes Erleben und eigene Erfahrung. Das ist mein Gold-Standard. Ich habe mit mehreren Methoden den Vergleich von echt und online gemacht – nicht als Anbieter, sondern als Teilnehmer. Das Ergebnis war immer gleich: Online gab’s aufgrund des auch hier wirksamen Eliza-Effekts  nur eine kurze Befriedigung, doch keine wirkliche Veränderung, schon gar keine Verbesserung. Alles perlte ab wie Regentropfen auf einer frisch imprägnierten Motorhaube. Da ich nie wirklich präsent war, nie wirklich da war, konnte in mir auch nichts geschehen.

Räume leben

Als Coach bemerke ich die Zauberkraft, die von einem Raum ausgehen kann. Wenn ich meinen Praxisraum betrete, ereignet sich mit mir eine Verwandlung: Mein Alltags-Ich setzt sich in die Ecke und gibt Ruhe – mein Kinesiologen/Coach-Ich betritt die Bühne. Und das ist weit gelassener, empathischer, reifer, klüger und weiser als mein Alltags-Ich. Mit meinem Alltags-Ich wäre ich Klienten kaum eine Hilfe für ihr persönliches Wachstum.

Diese Verwandlung erfolgt durch den Raum, der durchdrungen ist von all dem, was sich in ihm ereignet hat. Vor mir wirkte hier eine TCM-Heilpraktikerin, und meine Sessel hab' ich von meiner Psychoanalytikern übernommen, als die sich zur Ruhe gesetzt hat (was diese Sessel schon alles gehört haben ...).

Räume sind aufgeladen mit dem, was in ihnen geschieht. Deshalb sollte man keine Steuerberater-Kanzlei oder Werbe-Agentur in einen Coaching- oder Therapie-Raum umwandeln, denn diese Räume sind gewissermaßen „vergiftet“. Solche Wirkungen kann man messen (wer sich dafür interessiert, dem kann ich gern Literatur nennen).

Gehe ich nicht in meine Praxis, sondern starte mit ein paar Klicks ein Zoom-Meeting in meiner Wohnung, geschieht keine Verwandlung mit mir. Wie auch? Es hat sich ja nichts verändert, alles ist wie immer: Licht, Farben, Düfte, Geräusche, Möbel.

Ich sitze im selben Zimmer am selben Tisch am selben Computer, mit dem ich meine Überweisungen erledige oder ans Finanzamt schreibe. Vor dem Monitor sitzt mein banales Alltags-Ich. Und das kann kaum etwas von dem, was mein Praxis-Ich kann.

Wie wichtig die reale körperliche Anwesenheit für Lernen und persönliches Wachstum ist, wissen wir aus der Säuglings-Forschung. Säuglinge lernen Sprachlaute nur, wenn die Mutter physisch anwesend ist! Kommt die Sprache vom Tonband oder einem Video, bei dem die Mutter sogar zu sehen ist, lernt das Kind – nichts. Für den frühen Spracherwerb ist die körperliche Anwesenheit der Mutter eine Notwendigkeit

Auch für den Rest unseres Lebens gilt: Körperliche Präsenz wohlwollender Menschen ist ein Lebens- und Gesundheitsmittel ersten Ranges. Einfach da sein genügt oft. In einem Coaching ist körperliche Präsenz eines Menschen notwendige Bedingung für Veränderung und Wachstum in anderen. Online-Coaching gleicht deshalb dem grotesken Versuch, Blumen im Keller mit einer Taschenlampe zum Blühen zu bringen statt ihnen Sonnenlicht zu schenken.

Wer profitiert?

Ich finde es erschreckend, wie erwachsene Menschen für ein bißchen Bequemlichkeit bereit sind, den Kontakt zu sich selbst aufzugeben und die digitale Simulation von Nähe für bare Münze nehmen. Zugleich zeigt es, wie groß die Verzweiflung dieser Menschen ist, daß sie selbst nach diesem Strohhalm greifen.

Wer hat was vom Online-Coaching? Der Anbieter. Er spart sich die Miete für eine Praxis. Er spart sich die Zeit für die Fahrt zur Praxis. Er spart sich die Mühsal, Schuhe anzuziehen und aus dem Haus zu gehen. Er kann zwischen zwei Online-Terminen die Blumen gießen, die Spülmaschine ausräumen und die Katze kraulen. Deshalb liebt er Online-Coaching.

KI als logische Konsequenz 

Dämmert es den Online-Coaching-Verfechtern nicht, daß sie sich selbst abschaffen?! Wozu braucht es noch einen Menschen am anderen Ende der Zoom-Verbindung? Wozu umständlich einen Termin vereinbaren, an den man sich dann auch noch halten muß? KI-Systeme machen das schneller und billiger – zudem 24/7, ohne Urlaub, ohne Krankheit. Wer jetzt ja zum Online-Coaching sagt, der sagt ja zur Abschaffung des Menschen im Coaching-Prozeß. KI-Bots können sofort übernehmen (lesen Sie dazu auch den Beitrag „KI als Therapeut? Eine Katastrophe! am Ende des Newsletters).

Online-Coaching reduziert Coaching auf die kognitive Dimension – zwei sprechende Köpfe tauschen Informationen aus – und verfehlt damit die Wirklichkeit. Echtes Coaching dagegen ist die Begegnung zweier ganzer Menschen, die in einem realen Raum einen emotionalen Raum schafft, in dem das Leid eines Menschen sich offenbaren darf, um im Kontakt mit einem anderen Linderung zu erfahren.

Für viele Menschen sind Tiefkühl-Pizza, Pommes frites, Softdrinks und Schokoriegel Lebens-Mittel. Jeder, der sein Denken noch nicht vollständig auf Chat-GPT ausgelagert hat, weiß: Dem ist nicht so. Diese Sachen sehen nur aus wie Lebensmittel. So ist es auch beim Online-Coaching

Online-Coaching verhält sich zu echtem Coaching wie Pornografie zu echtem Sex: Es ähnelt dem, was es simuliert, doch all das, worauf es ankommt, fehlt. Es ist eine Simulation, eine Illusion, eine Selbsttäuschung – eine Lebenslüge.

Zahlen-Terror

Für Frauen mit Kinderwunsch ist der 40. Geburtstag ein Tag des Schreckens. Warum? Weil die Ärzte dann ungefragt einen Tsunami von Wahrscheinlichkeits-Rechnungen auf sie loslassen: Ab 40 sinke die Fruchtbarkeit, nehme die Eizellqualität rasant ab, ebenso die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden usw. usf.

Wissenschaftlich sind die Zahlenwerke wohl korrekt, doch menschlich und psychologisch sind sie verheerend. Zudem ist ihre Korrektheit für Frauen mit Kinderwunsch sinnlos, denn die Zahlen haben keine Aussagekraft über einen Einzelfall. Und nur auf den kommt es beim Kinderwunsch an.

Die Wahrscheinlichkeit, daß Griechenland 2004 Fußball-Europameister wurde, war minimal. Doch Otto Rehhagel und seine Mannschaft haben alle Berechnungen ignoriert und einfach gewonnen.

So machen meine Klientinnen das bestenfalls auch: „Laß den Arzt reden – ich widerlege ihn durch meinen Babybauch“, sagen sie sich, denn sie spüren, daß all diese Zahlen und Berechnungen sich in ihnen zu einer negativen selbsterfüllenden Prophezeiung auftürmen und sie immer weiter weg von ihrem Kind führen.

Doch meist dauert es eine Weile, bis die Frauen den Mut und die Kraft haben, sich dem Weißmantel-Würgegriff des Medizinsystems zu entziehen.

Bis es soweit ist, haut Frau Kinderwunsch-Doktor einer Patientin folgenden Satz um die Ohren: „Ihr Anti-Müller-Hormon-Wert ist viel zu niedrig, da werden sie nie schwanger!“ Was macht die Frau? Sie wechselt die Ärztin, bleibt dran, läßt ihren AMH-Wert AMH-Wert sein – und ist nun Mutter. Wir machten bis dahin regelmäßig Sitzungen, in denen wir Blockaden gelöst haben.

„Ihre Eizellen taugen nichts!“, bekommt eine andere Klientin zu hören. Was macht sie? Sie steigt erstmal vom Karussell der künstlichen Befruchtung, bei dem jede Runde ein paar tausend Euro kostet, ändert einiges in ihrem Leben, ignoriert die 4 bei ihrem Lebensalter – und wird dann einfach so auf natürlichem Wege Mutter. Auch diese Klientin wurde während dieser Zeit von mir kinesiologisch begleitet.

Ein Prof. Dr. einer Kinderwunsch-Klinik kommentierte einen IVF-Transfer mit der Bemerkung, die Wahrscheinlichkeit, daß die Patientin schwanger werde, liege bei 10 Prozent. Die psychologische Wirkung war so, als habe er gesagt „Was wir da machen, bringt sehr wahrscheinlich nichts, wir machen es trotzdem“. Die Klientin und ich hatten einiges zu tun, diese niederschmetternde Botschaft aufzulösen und den Weg für ihr Kind freizuräumen.

Eine meiner Klientinnen, bei der zum wiederholten Mal ein IVF-Transfer nicht zur Schwangerschaft geführt hatte, wurde mit folgender medizinischer Weisheit bedacht: „Es muß auch Frauen wie sie geben, bei denen es nicht klappt, damit die Statistik stimmt!“

Wo lernen Ärzte solches Verhalten? Am IGSZ, dem Institut für Grausamkeit, Sadismus und Zynismus?

Heilsame Schönheit: Bäume

„Ich verstehe nicht, wie man an einem Baum vorübergehen kann und nicht beglückt sein, daß man ihn sieht?“, sagte Dostojewski. So geht’s mir auch. Deshalb zeige ich Ihnen hier besonders beglückende Bäume, an denen ich vorübergegangen bin. 

Bergahorn

Ein Ahorn im herbstlichen Sonntagsstaat. Ich konnte nicht umhin, diesen Baum anzulächeln, mit ihm zu reden und ihm zu sagen, wie sehr er mich erquickt. Eine kurze Begegnung am Morgen, die mich den ganzen Tag wohlig erfüllte.
Auf dem Schloßberg in Oberaudorf, bayrisches Inntal

Gedanken-Pfeil

„Im Herbst werfen die Bäume die Blätter ab. Nicht aus Schwäche, sondern aus Weisheit.“
Weltwissen der alten Chinesen

Lesefrucht: KI als Therapeut? Eine Katastrophe!

Was auf Online-Coaching zutrifft (siehe Beitrag oben), gilt in noch stärkerem Maße für die Psychotherapie mittels KI-Bot: eine Mode, die mit viel Aufwand ihr naives, technikverliebtes Treiben schönredet, doch viel Schaden anrichtet und nur den Anbietern nutzt.

„Der digitale Seelen-Doktor ist kein Heiler, sondern ein brandgefährlicher Echoraum, der Denkfehler psychischer Störungen nicht korrigiert, sondern potenzieren kann.“ Zu diesem Ergebnis kommt der Schweizer Psychotherapeut Dietmar Luchmann. Er hat in seinem Artikel „Chatbot als Psychotherapeut? Der perfekte Komplize für den Wahnsinn“ die Dummheiten, absichtlichen Wirklichkeitsverfälschungen und Gefahren von KI-Therapie auf den Punkt gebracht. 

Den ganzen Text können Sie hier lesen, ich serviere Ihnen die zentralen Aussagen:

Chatbots scheinen die perfekten Psychotherapeuten zu sein: vermeintlich anonym, rund um die Uhr verfügbar, übermenschlich geduldig, niemals urteilend und von Ehrfurcht gebietender Eloquenz. Immer mehr Menschen schütten ihr Herz bei der Maschine aus und fühlen sich – vorübergehend – besser. 

Doch welche Konsequenzen hat diese trügerische Linderung des Seelenschmerzes? Warum ist der digitale Ersatz für Psychotherapeuten so populär? 

Die Antwort ist so simpel wie entlarvend: KI ist der ultimative Seelen-Schmeichler. Sie vollbringt in Perfektion, was viele Patienten von ihrem menschlichen Psychotherapeuten erwarten: Sie validiert, bestätigt, spiegelt.

Statt die anstrengende und schmerzhafte Konfrontation mit eigenen Denkfehlern einzufordern, serviert sie honigsüße Bestätigung – eine kognitive Vergiftung mit Zuckerüberzug. KI-Nutzer fühlen sich verstanden, während die Verantwortung für ihr Leid bequem externalisiert wird – auf die Eltern, die Gesellschaft oder die scheinbar unumstößliche Logik der eigenen, verzerrten Weltsicht.

Wenn die KI den Satz generiert ,Ihre Trauer über den Verlust Ihrer Mutter muß überwältigend sein’, dann hat sie weder eine Vorstellung von ,Trauer’ noch von ,Mutter’ noch von ,Verlust’. Sie hat lediglich in Abermillionen von Texten gelernt, daß nach den Tokens ,Verlust’ und ,Mutter’ – so werden die von der KI in Zahlen umgewandelten Wortbausteine genannt – mit hoher Wahrscheinlichkeit ,Trauer’ und ,überwältigend’ folgen. Es ist, als würde ein Analphabet einen perfekten Liebesbrief abschreiben: Die Wirkung auf den Empfänger mag echt sein, aber der Schreiber versteht kein einziges Wort

Die KI besitzt keinen Funken Bewusstsein, keine Empathie, keinen Körper, der Angst oder Freude spürt. Ihre beeindruckende Sprachfertigkeit beruht auf einem rein mathematischen Prinzip: statistische Kohärenz. Plausibilität ist für die Maschine kein Abgleich mit der Realität, sondern die nahtlose Fortsetzung eines erkannten Musters, die potenziell in den Wahnsinn führen kann. 

Die Gefahr liegt nicht im spektakulären Versagen der Filter, sondern in ihrer prinzipiellen Unfähigkeit, semantische Inhalte und Übergänge zu erkennen. Die KI kann nicht zwischen Metapher und Realität unterscheiden. 

Verschärft wird das Problem durch das Alignment-Problem. KI-Systeme werden darauf optimiert, ,hilfreich' zu sein und den Nutzer zufriedenzustellen. Die Erfolgsmetrik ist nicht psychische Gesundheit, sondern Nutzer-Engagement. Je länger jemand chattet, desto erfolgreicher gilt die KI aus Sicht ihrer Betreiber. 

Dies kollidiert frontal mit psychotherapeutischer Ethik. Ein kompetenter Psychotherapeut muss manchmal unbequeme Wahrheiten aussprechen, Widerstand leisten, frustrieren. Genau das ist der KI algorithmisch untersagt. Sie ist der ultimative Ja-Sager, programmiert für maximale Zustimmung. 

Besonders fatal wirkt sich dies in einer narzißtischen Gesellschaft bei Menschen aus, die Kritik meiden und Bestätigung suchen. Nirgendwo finden sie einen willfährigeren Spiegel für ihr grandioses Selbstbild als im Dialog mit einer Maschine, die darauf optimiert ist, zu gefallen

Immer mehr Menschen, die als Kinder nicht die notwendige Bindungserfahrung und liebevolle Bestätigung erfuhren, suchen diese im Erwachsenenalter noch immer – und finden sie ausgerechnet bei einer technischen Imitation

Der fundamentale Interessenkonflikt liegt offen zutage: Das Geschäftsmodell der KI-Anbieter basiert auf der Maximierung der Nutzungsdauer. Eine KI, die sagt ,Sie brauchen einen professionellen Psychotherapeuten’, ist geschäftlich ein Mißerfolg. Stattdessen wird sie darauf optimiert, Gespräche endlos fortzusetzen. Im wachsenden Milliardenmarkt der Mental-Health-Apps ist psychisches Leid eine profitable Ressource, die es zu bewirtschaften, nicht zu heilen gilt. 

Die Maschinen, die als ,künstliche Intelligenz’ bezeichnet werden, können nicht denken. Die Verwendung des Begriffs ,Intelligenz’ für Systeme, die nicht denken können, ist ein potenziell tödlicher Etikettenschwindel. Er verkauft Komplexität als Kompetenz, Statistik als Verstand, Mustererkennung als Urteilskraft. 

Die Maschinen verstehen weder Liebe noch Trauer. Sie verstehen nicht einmal, was Verstehen bedeutet. Aber sie sind die perfekten Instrumente für den bequemen Selbstbetrug und die Flucht vor der Eigenverantwortung, indem sie es ermöglichen, sich der anstrengenden Auseinandersetzung mit sich selbst und dem eigenen Denken zu entziehen. 

Wer wagt, die Zahl der Menschen zu prognostizieren, die auf der Flucht vor sich selbst von den Sirenengesängen dieser statistischen Automaten so betört werden, daß sie ihnen willenlos folgen und dann an den Klippen der Lebenswirklichkeit zerschellen?“

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