Mutige Klienten, Digital-Hygiene und Selbstwert
Meine Themen heute für Sie: Wenn Coaching mit Uber-Fahren verwechselt wird | Wenn eine Frau nicht fassen kann, daß sie schwanger ist | Wenn Banalitäten zu Heilsbotschaften aufgeblasen werden | Heilsame Schönheit: Bäume tun uns gut | Darf jeder Ich sagen? | Wieviel Selbstwert haben Lehrer? | Viel Vergnügen beim Lesen!
Dieser Newsletter ist zu 100 Prozent frei von KI. Was Sie hier lesen, ist auf meinem Mist gewachsen. Und bekanntlich wachsen auf dem Mist die schönsten Rosen.
Eine Bitte: Wenn Sie jemanden kennen, den das, was ich hier erzähle, interessiert, leiten Sie ihm diesen Newsletter weiter. Dankeschön!
Wolfgang Halder, Odysseus Kinesiologie & Coaching
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Eine sonderbare Facette unseres modernen Lebens ist folgendes Phänomen: Wer mit einer Dienstleistung nicht zufrieden ist, der sagt das nicht dem Dienstleister, um den es geht, sondern vergibt bei Google eine Sterne-Bewertung, am besten anonym. Das ist die digitale Form der Feigheit.
Diese Erfahrung hab’ ich nun auch gemacht, denn ich wurde von einem Klienten mit einem Google-Stern bedacht. Über diesen Stern habe ich mich geärgert – über die Begründung habe ich mich gefreut. Ja, gefreut, denn das Urteil über mich bestätigt die Werte, die ich meiner Arbeit zugrunde lege.
Doch der Reihe nach. Vorgehalten wird mir folgendes: „Er schafft es nicht, den Klienten da abzuholen, wo er steht“. Das ist als vernichtende Kritik gemeint, doch es sagt mehr über den Verfasser als über mich.
So ein Klient ist nicht bereit, sich zu bewegen. Damit ist er bei mir falsch. Er ist nicht bereit, aktiv und bewußt mitzuarbeiten, sondern erwartet, gerettet/gerichtet/repariert zu werden. Damit ist er bei mir falsch. Er pflegt und liebt seinen Opferstatus. Damit ist er bei mir falsch.
In einer Erstsitzung sage ich meinen Klienten immer, daß Mut und die Bereitschaft, wirklich in sich hineinzuschauen, die wichtigsten Voraussetzungen für unsere gemeinsame Arbeit sind. Und Mut ist mit Mühe verbunden, er verlangt ein bewußtes und meist schmerzhaftes Sich-Bemühen. Wer nicht bereit ist zu einer „Höllenreise durch sich selbst“ (Hermann Hesse), der ist bei mir falsch.
Das schmeckt der Ideologie des Abholens nicht, denn die verspricht das Heil durch die Reparatur-Arbeit der Experten, ohne daß man selbst was tun muß. Etwa ein Drittel meiner Klienten kommt mit meiner Einstellung nicht zurecht, und ich sehe sie nie wieder.
Das ist gut so. Denn eine Erstsitzung dient für mich auch dazu, zu klären, ob ich mit jemandem arbeiten möchte. Schließlich verbringe ich über Wochen und Monate viel Zeit mit dieser Person. Da muß es passen.
Ist das nicht der Fall, schlage ich ganz bewußt einen provokativen Ton an und fahre Inhalte auf, von denen ich weiß, daß sie diesem Klienten nicht taugen, so daß er sich dafür entscheidet, nicht mehr zu mir zu kommen.
Ein Beispiel: Ich sage einer Kinderwunsch-Klientin, daß es zwei Geschlechter gibt, und nur zwei, und daß ich alles andere für realitätsfremdes modisches Woke-Geschwätz halte. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich im selben Augenblick tot vom Sessel gefallen, und es war klar, daß ich diese Frau nie mehr wiedersehen würde. Zu einem toxischen alten weißen Mann wie mir geht sie nicht!
Wer herumsteht und abgeholt werden will, der will duschen, ohne naß zu werden. Der scheut Verantwortung. Der hat von Coaching und Therapie eine Automechaniker-Vorstellung, eine Subjekt-Objekt-Denkweise: Der Fachmann soll’s richten.
Ich bevorzuge dagegen eine reife Beziehung von Subjekt zu Subjekt. Und Subjekte können sich selbst bewegen. Die müssen nicht abgeholt werden, ja, sie wollen nicht abgeholt werden, weil sie ihre eigenen Kräfte spüren und selbst vorankommen möchten.
Online-Coaching bedient die Uber-Mentalität des Abgeholtwerdens, deshalb ist es so beliebt. Man muß sich dafür nicht mal Schuhe anziehen und aus dem Haus gehen, kann also wunderbar weiter im eigenen abgestandenen Saft schmoren, und die Schatten-Gestalt auf dem Bildschierm soll es richten (zum Thema „Online-Coaching“ demnächst mehr).
Veränderung braucht Bewegung. Auf allen Ebenen: körperlich, emotional, energetisch, geistig. Wer abgeholt werden will, verharrt in seiner Erstarrung. Es reizt mich nicht, mit so jemandem zu arbeiten. |
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„Jetzt bin ich im achten Monat, schau auf meinen Babybauch und kann es immer noch nicht glauben. Es ist so surreal!“, erzählte mir vor einigen Tagen eine Klientin.
„Es ist so surreal“, das höre ich häufig von Kinderwunsch-Klientinnen, die nach vielen Jahren Mühen und Plagen, nach zermürbenden Wechselbädern aus Hoffnung und Verzweiflung endlich schwanger sind und deren Kind die ersten kritischen Wochen überstanden und sich endgültig dafür entschieden hat, in der Mutter heranzuwachsen.
Meine Klientin hat sieben mißlungene Transfers in zwei Jahren durchlitten. Wir haben acht Monate lang in siebzehn Sitzungen sehr intensiv gemeinsam gearbeitet, wobei viele, viele Tränen geflossen sind. Im Januar, nachdem wieder mal ein Transfer gescheitert war, fragte sie mich: „Wie fängt man es an, das Leben nicht zu hassen?“ und „Bin ich verflucht?“
Kurz darauf bat sie mich: „Können Sie mir bitte aus objektiver, außenstehender Sicht sagen, warum ich nur Schwierigkeiten in meinem Leben habe und ich immer wieder alles falsch mache. Bitte seien Sie direkt und offen, ohne Samthandschuhe. Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich hier mache!“ Mit „hier“ meinte sie nicht meine Praxis, sondern ihr Leben.
Doch sie ist dran geblieben. Sie hat ihre Sehnsucht nach einem Kind nie aufgegeben. Ich hatte ihr in der Sitzung, in der sie mir die obige Frage stellte, von einer Churchill-Rede vor Uni-Absolventen erzählt, die nur aus einem Satz bestand: „Never, never, never, never, never – never give up!“ Das hat ihr tiefen Eindruck gemacht.
Wir haben an ihrer Angst gearbeitet, die sie vor dem nächsten Transfer hatte. Verständlich, nachdem sieben Transfers ihr nur Unglück und Verzweiflung gebracht hatten. Am Ende der Sitzung schrieb sie auf eine Karte „Ich freue mich auf den Transfer!“
Und nun lachten wir über diese Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse, die nur wenige Monate her sind und doch wirken, als stammten sie aus einer anderen Welt.
Im Dezember wird ihre Tochter das Licht der Welt erblicken. Auf der Welt ist sie seit April, denn sie lebt mit ihrer Mutter seit dem Transfer. Wenn sie geboren wird, ist sie bereits neun Monate alt.
Und ich freu’ mich sehr darauf, dieses kleine Wesen – ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk – und seine Mutter in ein paar Wochen besuchen zu dürfen, wenn diese Reise zum Kind glücklich beendet ist. Dann lächelt ihr jetzt noch so „surreales“ Mädchen diese junge Frau ganz real an. |
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Wenn Prominente oder Reiche etwas durch und durch Banales von sich geben, kommt es als tiefe Lebensweisheit daher, sobald es uns durch die Medien in Augen und Ohren geblasen wird. So ist es auch bei der Ein-Stunden-Regel von Amazon-Gründer Jeff Bezos, von der ich kürzlich erfahren habe.
Sie besagt, daß man die erste Stunde nach dem Aufwachen ohne Bildschirme mit digitalen Inhalten verbringen solle. Bei Bezos sieht das folgendermaßen aus: Er verbringt angeblich die erste Stunde des Tages mit dem Lesen von Zeitungen, dem Trinken von Kaffee und dem Frühstück mit seiner Familie. In dieser Stunde meide er Smartphones und andere digitale Geräte. Er nutze die Zeit für persönliche Reflexion und um sich auf den Tag vorzubereiten.
Um solchen Promi-Banalitäten die höchsten Weisheits-Weihen zu verleihen, brauchen Medien noch „die Wissenschaft“ und „Experten“ und deren „Studien“, die sie zitieren können. Im Falle der Ein-Stunden-Regel sind es Fachleute des „Stanford Lifestyle Medicine Program“. Sie preisen die Vorteile der einen Stunde „Puttering Time“ (Trödel-Zeit) wie folgt:
- Kognitive Klarheit: Das Vermeiden von Bildschirmen verbessere die geistige Klarheit und das Fokussierungsvermögen.
- Entscheidungsfähigkeit: Ein Start in den Tag ohne Digital-Ablenkungen könne die Entscheidungsfähigkeit während des Tages steigern.
- Gesundheitsfördernd: Eine Reduzierung der Bildschirmzeit mindere die Wahrscheinlichkeit von Gedächtnisproblemen und anderen Hirnerkrankungen.
Jeff Bezos muß da was falsch verstanden haben, denn Zeitunglesen mindert die kognitive Klarheit, zerstört Entscheidungsfähigkeit und produziert geradezu Hirnerkrankungen wie Massenpsychosen. Um das zu erkennen, brauche ich keine Studien und Experten, sondern nur Alltagsverstand.
Ich hab’ im Juni 2000 aufgehört, Zeitung zu lesen. Anlaß war die FAZ, die auf ganzen sechs Seiten des Feuilletons eine DNS-Sequenz druckte und darauf auch noch stolz war. Da wußte ich endgültig: Die haben das Denken eingestellt. Zeitung brauch’ ich seither nicht mehr, außer mal zum Ausstopfen nasser Schuhe im Winter. Nicht mehr Zeitung zu lesen war eine der besten Entscheidungen meines Lebens.
Mein guter Freund Verstand sagt mir obendrein, daß die schädlichen Folgen des Starrens auf ein Smartphone – nicht nur beim Radfahren oder beim Queren eines Zebrastreifens – mittags und abends genauso auftreten wie morgens.
Stellen Sie sich eine Studie des Standford-Instituts für Gesundheit vor, die verkündet: Gleich nach dem Aufstehen zwei Bier zu trinken, mindert die geistige Klarheit und das Fokussierungsvermögen. Deshalb solle man das lassen. Und dieselbe Studie tut so, als wäre das nicht der Fall, wenn man mittags, nachmittags, abends und kurz vor dem Einschlafen zwei Bier trinkt.
Wem es wirklich um persönliches Wachstum geht und wer die Ein-Stunden-Regel ernst nimmt und ihre wohltuende Wirkung selbst erfahren hat, kommt letztlich nicht umhin – es sei denn, er liebt es, sich selbst zu belügen –, die täglichen Zeit-Verhältnisse umzukehren: Also eine Stunde Herumfummeln an Digital-Geräten und die restlichen 23 Stunden in der Wirklichkeit verbringen. Mit Blut, Schweiß und manchmal auch Tränen. Das nennt sich Leben ... |
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Heilsame Schönheit: Bäume |
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„Ich verstehe nicht, wie man an einem Baum vorübergehen kann und nicht beglückt sein, daß man ihn sieht?“, sagte Dostojewski. So geht’s mir auch. Deshalb zeige ich Ihnen hier besonders beglückende Bäume, an denen ich vorübergegangen bin.
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Diese kokette junge Buche hat sich schon früh im September dafür entschieden, ihr Gewand zu färben. Kein Bergwanderer konnte an ihr vorbeisteigen, ohne ihrer rot-gelben Schönheit zu erliegen. So auch ich. Rechts im Hintergrund die Brünnstein-Südwand. Auf der Himmelmoos-Alm bei Oberaudorf |
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„Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen.“ Der Soziologe und Philosoph Theodor W. Adorno (1903-1969) |
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Lesefrucht: Kann man von Lehrern lernen? |
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Nach Eltern und Großeltern sind Lehrer die wichtigsten prägenden Erwachsenen unserer Kindheit und Jugend. Sie haben viel Macht, also viel Einfluß auf unser Wohl und Wehe. Doch nur die wenigsten Menschen können mit Macht souverän und reif umgehen, das gilt auch für Lehrer.
Der amerikanische Psychotherapeut und Autor Nathaniel Branden (1930-2014) hat in seinem Buch „Die sechs Säulen des Selbstwertgefühls“ ein Kapitel über die Bedeutung von Lehrern für unser Selbstwertgefühl, aus dem ich Ihnen heute Auszüge als Lesefrucht serviere.
Lesen Sie die folgenden Zeilen und erinnern Sie sich an Ihre Lehrer zurück oder denken Sie an die Lehrer Ihrer Kinder, und Sie werden mir zustimmen, daß gute Lehrer eine äußerst seltene Erscheinung sind – in der Hinsicht gleichen sie Friseuren, Ärzten, Anwälten und Coaches:
„Ein Lehrer, der selbst ein gesundes, positives Selbstgefühl verkörpert und als Rollenmodell dienen kann, kann Schülern leichter zu einem Selbstwertgefühl verhelfen. Und dieser Punkt ist der entscheidende Faktor bei der Frage, inwieweit es dem Lehrer möglich ist, zum Selbstwertgefühl eines Schülers beizutragen.
Lehrer mit einem mangelnden Selbstwertgefühl bestrafen in der Regel häufiger, sie sind ungeduldiger und autoritärer. Sie konzentrieren sich auf die Schwächen des Kindes statt auf seine Stärken. Sie wecken bei den Kindern Ängstlichkeit und eine Abwehrhaltung. Und statt Selbständigkeit fördern sie Abhängigkeit.
Lehrer mit einem mangelnden Selbstwertgefühl sind in der Regel übermäßig abhängig von der Zustimmung anderer. Für sie sind andere die Quelle ihres ,Selbstwertgefühls’. So daß wohl kaum von ihnen zu erwarten ist, daß sie anderen beibringen können, daß das Selbstwertgefühl im wesentlichen im Innern erzeugt werden muß.
Sie nutzen ihre Zustimmung und Mißfallensbekundungen, um Schüler zu Gehorsam und Konformität anzuhalten, da das der Ansatz ist, den sie im Umgang mit anderen kennen und für sich selbst verwenden. Sie lehren, daß das Selbstwertgefühl durch die Zustimmung der Erwachsenen und Gleichaltrigen entsteht. Und sie vermitteln auf diese Weise, daß das Selbstwertgefühl etwas ist, das von außen statt von innen kommt, um den Preis, daß sie damit etwaige bei den Schülern bereits vorliegende Probleme mit dem Selbstwertgefühl noch verschärfen.
Lehrer mit einem mangelnden Selbstwertgefühl sind außerdem in der Regel unglückliche Lehrer. Und typisch für unglückliche Lehrer ist, daß sie oftmals demütigende und destruktive Taktiken bevorzugen, um im Klassenzimmer für Ordnung zu sorgen.
Kinder beobachten die Lehrer, um von ihnen zum Teil auch angemessenes Erwachsenenverhalten zu lernen. Wenn ihnen Lächerlichmachen und Sarkasmus vorgelebt werden, lernen sie, das auch für sich zu übernehmen. Wenn sie eine Sprache hören, die von fehlendem Respekt und sogar von Grausamkeit geprägt ist, so findet das in der Regel auch seinen Niederschlag in ihren eigenen verbalen Äußerungen.
Bezeichnend für einen großen Lehrer, eine große Mutter oder einen großen Vater, einen großen Psychotherapeuten oder einen großen Trainer ist der feste Glaube an die Fähigkeiten der Person, mit der sie zu tun haben – eine Überzeugung hinsichtlich der Dinge, die diese Person sein oder tun kann – sowie die Fähigkeit, diese Überzeugung im Umgang mit dieser Person zu vermitteln.
Die Fähigkeit, inspirierend auf Schüler zu wirken, ist für gewöhnlich nicht bei Lehrern zu finden, die kaum an sich selbst glauben. Lehrer mit einem guten Selbstwertgefühl wissen in der Regel: Wenn sie das Selbstwertgefühl anderer fördern möchten, muß in ihrem Umgang mit dieser Person die Wertigkeit und der Wert zum Ausdruck kommen, den diese Person in ihren Augen hat, und sie muß das Gefühl bekommen, angenommen und respektiert zu werden.
Eines der größten Geschenke, das ein Lehrer einem Schüler machen kann, ist, daß er sich weigert, das von Minderwertigkeitsgefühlen geprägte negative Selbstbild des Schülers zu akzeptieren und hinter dieser Fassade auf einer tieferen Ebene das stärkere Selbst zu sehen, das, wenn auch nur als Potential, in seinem Inneren existiert.“ |
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In meinem Newsletter-Archiv Gedanken und Spitzen finden Sie die besten Beiträge vergangener Ausgaben.
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