Seitenblick - Der Newsletter von Odysseus Kinesiologie & Coaching

Enkel, Anpassung und Sommerregen

Meine Themen heute für Sie: Wenn Eltern einen Enkel fordern | Wachstum oder Anpassung? Das ist die zentrale Frage bei einem Coaching | Am Tegernsee geht's gesund zu | Der abwesende Opa | Heilsame Schönheit: Bäume tun uns gut | Voltaire spottet über Mediziner | Vergessen Sie das Klima, freuen Sie sich über Regen | Viel Vergnügen beim Lesen!

In eigener Sache: Dies ist mein letzter Newsletter vor der Sommerpause. Deshalb heute mehr Themen als sonst. Die nächsten Wochen befasse ich mich mit einigen Berggipfeln sowie Schlutzkrapfen und Buchweizentorte, woran Sie erkennen können, daß ich in Südtirol sein werde. Wir lesen uns wieder am 31. August

Dieser Newsletter ist zu 100 Prozent frei von KI. Was Sie hier lesen, ist auf meinem Mist gewachsen. Und bekanntlich wachsen auf dem Mist die schönsten Rosen.

Eine Bitte: Wenn Sie jemanden kennen, den das, was ich hier erzähle, interessiert, leiten Sie ihm diesen Newsletter weiter. Dankeschön!

Wolfgang Halder, Odysseus Kinesiologie & Coaching

Enkel-Verweigerung

Unser Glück liegt in deinen Händen!“ Dieser Satz sitzt. Tief. Ganz tief. In jeder Körperzelle der Tochter, die sich mit diesem Ausspruch ihres Vaters herumschlagen muß.

Vater und Mutter meiner Klientin sind schon Opa und Oma, durch den älteren Bruder der Klientin. Doch diese Enkel zählen nicht. Denn der Sohn zählt auch nicht. Hat noch nie gezählt. Er war der Ausrutscher des jungen Paares, die Tochter dagegen ist das spätere Wunschkind, die Prinzessin. Sie ist für das Glück der Eltern zuständig. Sie muß die Wunsch-Enkel liefern.

Doch das klappt nicht. Seit Jahren versucht sie es, doch sie wird nicht schwanger, obwohl aus medizinischer Sicht alles paßt: Eizellen, Gebärmutter-Schleimhaut, Hormone, Spermienqualität und was es sonst noch an Meßbarem gibt.

Nun sitzt die Frau, die Mutter werden möchte, bei mir und erzählt, wie der Vater seinen ungeliebten Sohn regelmäßig verprügelt hat und nur sie, die Tochter, den Vater immer mal wieder besänftigen und den älteren Bruder schützen konnte.

Und sie erzählt, daß der Vater, wenn es in der Verwandtschaft die frohe Botschaft einer Schwangerschaft gibt, rüde kommentiert: „Die hat sich von dem bespringen und einen Braten in die Röhre schieben lassen“. Alles Schlampen – außer seiner Tochter.

Dieser Vater, den sie verabscheuungswürdig findet, bürdet ihr zugleich die Last auf, ihn und seine Frau glücklich zu machen.

Die kluge und sehr reflektierte Frau bringt das irrwitzige emotionale Durcheinander ihrer Familie selbst auf den Punkt: „Daß ich nicht schwanger werde, ist eine Rebellion gegen meinen Vater.“ Solange der Vater lebe, könne sie nicht Mutter werden. Und er habe sich vorgenommen, so lange zu leben, bis die Tochter ihm endlich ein Enkelkind schenke. Verfahrener geht’s nicht ...

Anpassung oder Wachstum?

Vater, Mutter und ihre fünfzehn Jahre alt Tochter sitzen bei mir in der Praxis. Ein Blinder mit Krückstock sieht und spürt die Spannung zwischen den Dreien. Die Mutter hat das Sagen, der Vater will alles ordentlich und harmonisch, die Tochter versucht, den Eltern bei ihren Kämpfen nicht in die Quere zu kommen, was ihr nicht gelingen kann.

Die Mutter schildert ausführlich und dezidiert die Lage der Tochter. Dem Vater bleibt nichts zu tun, als immer mal wieder zustimmend zu nicken, wenn seine Frau ihn mit einem „Stimmt’s?!“ dazu auffordert. Die Tochter signalisiert durch ihr Nicht-Nicken, daß die Version der Mutter eben nicht stimmt.

Was will die Mutter mit ihrer Tochter bei mir und von mir? Es wird nicht ausgesprochen, doch die Botschaft ist klar: Richten Sie unsere Tochter! Bringen Sie sie auf Linie!“

Das ist ein Anpassungsziel. Mithin die Manipulation eines Menschen derart, daß er sich an krankmachende, menschenunwürdige, lebensfeindliche Zustände anpaßt, diese hinnimmt, sich ihnen unterwirft und sie als „normal“ akzeptiert. So, wie die meisten anderen Menschen auch. Dabei zeigen gerade „Störungen“ an, daß das „Normale“ krank macht.

Doch das zählt nicht. Hauptsache, wir funktionieren. Wir sollen „pflegeleicht“ sein, nicht anstrengend. In der Familie, im Kindergarten, in der Schule, im Beruf. Brav machen, was verlangt wird, und nicht auffallen. Dann sind wir gute Bürger.

Gewünscht ist hier also eine Abrichtung, eine Dressur, bei der die Tochter nur das Objekt für die Ziele anderer ist.

Das mag ich nicht. Das mach’ ich nicht. Mir geht’s ums Gegenteil: das gesunde Wachstum eines Menschen, darum, daß jemand wirklich der werden kann, der er ist.

Als ich andeute, daß die „Schwierigkeiten“ der Tochter mit der Familien-Situation zu tun haben könnten, wird der Blick der Mutter eisig. Der Vater schielt ängstlich zu ihr hinüber, wie sie auf diese meine Zumutung reagiert, die Tochter horcht auf und grinst fast schon frech Richtung Mutter.

Die merkt, daß ihr die Macht-Felle in der Familie davonschwimmen könnten, macht noch etwas Smalltalk, dankt mir dann kühl und rauscht mit Mann und Tochter von dannen. Ich hab’ nie wieder von ihr gehört. Sehr wahrscheinlich war sie bei der Suche nach einem gefügigen Coach erfolgreich.

Wander-Food

Am Tegernsee-Höhenweg bietet ein geschäftstüchtiger Bauer Wanderern ein Shopping-Erlebnis erster Güte an: einen Automaten voller vitalstoffreichem Superfood für müde Knochen und schlappe Muskeln (siehe Foto unten). Zudem hat der schlaue Bauer Desinfektionsspray und Kondome im Angebot. Er kennt wohl die Klientel, die über seine Wiesen wandert ...

Bergahorn

„Opa, kommst Du spielen?“

Ein Gasthaus mit großem Garten und Kinderspielplatz in einem Dorf am Starnberger See. Ein junger Opa betritt mit seiner vierjährigen Enkelin stolz die Szene. Der Kellner grüßt vertraut, andere Gäste nicken oder lassen ein Bekanntschaft signalisierendes „Servus“ erklingen. Man kennt ihn hier, den Opa.

Die Enkelin nimmt gar nicht erst Platz, sondern läuft sofort fröhlich hüpfend zum Spielplatz und ruft dabei: „Opa, kommst du dann zu mir?“ Von dem erklingt ein „Ja, Emma, ich muß erst noch bestellen“, dann wendet er sich der Karte zu. Nach der Bestellung widmet er sich seinem Smartphone. Er tippt, er wischt, er drückt – und findet währenddessen noch Zeit, die Enkelin, die ihn wieder sehnsüchtig ruft, mit einem „Ich muß das hier noch schnell beantwortenzu besänftigen.

Emma wechselt von der Schaukel auf die Rutsche. Allein. Andere Kinder sind nicht da. Opa hat die Nachricht beantwortet und ruft nun jemanden an. Wahrscheinlich geht es um Leben oder Tod, deshalb muß der Anruf jetzt sein. Er kommt ins Plaudern, Smalltalk und sonstige Alltäglichkeiten wehen zu mir herüber. Keine Spur von Leben oder Tod.

Auf jeden Fall ist es wichtiger als die Enkelin auf dem Spielplatz, die immer wieder ihren Opa ruft. Der spricht mittlerweile mit einem Bekannten am Nebentisch. Vier-, fünfmal muß Emma jedesmal rufen, bis von Opa überhaupt eine Reaktion kommt. Und die ist stets hinhaltend.

Dabei „fordert“ das Mädchen das Natürlichste der Welt: die ungeteilte Aufmerksamkeit eines liebenden Menschen. Diese Aufmerksamkeit sagt dem Mädchen „Du bist mir wichtig!“

Mit jeder abweisenden Antwort sagt der Opa zu seiner Enkelin: „Du bist nicht wichtig. Der Kellner ist wichtiger als Du. Mein Telefon ist wichtiger als Du. Der Bekannte am Nebentisch ist wichtiger als Du.“

Eine gute halbe Stunde geht das so. Mir krampft sich jedesmal das Herz zusammen, wenn Emma mit ihrem hellen Stimmchen ihren Opa ruft und der immer neue Ausreden dafür hat, erst gleich zu ihr zum Spielen zu kommen. Zu diesem Gleich kommt es nie.

Beim nächsten Mal fällt Emma vielleicht von der Schaukel, tut sich weh und merkt dann erstaunt, daß sie durch Schmerz und Blut endlich die volle Aufmerksamkeit ihres Opas hat. Was für ein „Lern-Erfolg“ das wäre ...

Heilsame Schönheit: Bäume

„Ich verstehe nicht, wie man an einem Baum vorübergehen kann und nicht beglückt sein, daß man ihn sieht?“, sagte Dostojewski. So geht’s mir auch. Deshalb zeige ich Ihnen hier besonders beglückende Bäume, an denen ich vorübergegangen bin. 

Bergahorn

Wird eine Thuja nicht zum schnöden Sichtschutz in Form einer Gartenhecke herabgewürdigt, wächst sie so frei und schön und stolz wie diese hier. Ihr Zweitname Lebensbaum paßt erst dann so richtig. Für mich ist jeder Baum ein Lebensbaum, denn er verkörpert gelungenes Leben.
Im Park der Seidl-Villa, Bad Heilbrunn

Gedanken-Pfeil

Ärzte verschreiben Medikamente, von denen sie wenig wissen, für Krankheiten, von denen sie noch weniger wissen, für Menschen, von denen sie gar nichts wissen.“
Dem Philosophen Voltaire (1694-1778) zugeschrieben

Lesefrucht: Gibt's was Schöneres als Regen?

Zu einer Zeit, als die Menschen noch zwischen Wetter und Klima unterscheiden konnten und jeder wußte, daß das Wetter launisch ist, schrieb Hermann Hesse sein Gedicht „Regen“. Heute, wo jede Wetterregung Anlaß für Katastrophen-Szenarien ist und drei Tage Sonnenschein in Folge die Macht-Fantasien unserer Politiker anstacheln, haben wir so ein Gedicht nötiger denn je.

Laben Sie sich an Worten, die mit Bedacht gewählt und nicht nur abgesondert wurden. Spüren Sie die beglückende Intensität der Welt-Wahrnehmung, die aus diesen Zeilen spricht. Erquicken Sie sich an dem wachen freien Geist, der aus einfachem Regen eine Feier des Lebens zu fertigen versteht. Vorhang auf für:

Regen

Lauer Regen, Sommerregen
Rauscht von Büschen, rauscht von Bäumen,
Oh, wie gut und voller Segen,
Einmal wieder satt zu träumen!

War so lang im Hellen draußen,
Ungewohnt ist mir dies Wogen:
In der eignen Seele hausen,
Nirgends fremdwärts hingezogen.

Nichts begehr ich, nichts verlang ich,
Summe leise Kindertöne,
Und verwundert heim gelang ich
In der Träume warme Schöne.

Herz, wie bist du wund gerissen
Und wie selig, blind zu wühlen,
Nichts zu denken, nichts zu wissen,
Nur zu fühlen, nur zu fühlen!

Newsletter-Archiv

In meinem Newsletter-Archiv Gedanken und Spitzen finden Sie die besten Beiträge vergangener Ausgaben.

Newsletter-Anmeldung

Ihnen wurde dieser Newsletter weitergeleitet? Und da er Ihnen gefallen hat, möchten Sie ihn regelmäßig lesen? Dann melden Sie sich kostenlos und unverbindlich an  und erhalten Sie jeden zweiten Sonntag Geschichten aus Kinesiologie und Coaching.