Seitenblick - Der Newsletter von Odysseus Kinesiologie & Coaching

Hamster, Dummheit und Therapeuten

Meine Themen heute für Sie: Wenn ein Hamster den Kinderwunsch bremst | Wie die KI Texte verhunzt | Heilsame Schönheit: Bäume tun uns gut | Kluge Worte von Ken Wilber: Medizin ist Klempnerarbeit | Sind Psychotherapeuten glücklich? | Viel Vergnügen beim Lesen!

Dieser Newsletter ist zu 100 Prozent frei von KI. Was Sie hier lesen, ist auf meinem Mist gewachsen. Und bekanntlich wachsen auf dem Mist die schönsten Rosen.

Eine Bitte: Wenn Sie jemanden kennen, den das, was ich hier erzähle, interessiert, leiten Sie ihm diesen Newsletter weiter. Dankeschön!

Wolfgang Halder, Odysseus Kinesiologie & Coaching

Beim Hamster fließen die Tränen

Ein wunderbarer Weg, um schnell das Seelenleben eines Klienten aufzuschließen, ist ein Familienbild. Der Klient stellt mit Strichfiguren seine Herkunftsfamilie dar: Größe und Positionierung der Personen bilden deren Dominanz und Nähe zueinander ab. Da zeigt sich ziemlich schnell ziemlich viel.

Der Vater ist zum Beispiel doppelt so groß wie die Mutter und ganz weit von den Kindern entfernt. Oder drei Enkel umringen die Oma, während die Mutter einsam abseits steht und ein Vater gar nicht vorhanden ist.

Die Klientin, von der ich heute erzähle, erläutert mir, was auf ihrem Bild zu sehen ist: Sie steht zwischen zwei Erwachsenen – links der Vater, rechts die Mutter. Das wirkt auf den ersten Blick harmonisch: das Kind geborgen zwischen den Eltern, zu beiden im selben engen Abstand. Eine Oma, zwei Opas sowie drei Tanten sind auch noch dabei.

Ganz oben, am Rand des Zeichenblocks, weit weg vom Geschehen, schwebt ein kleines Männchen. „Wer ist das?“, frage ich. „Das ist mein leiblicher Vater, sagt die junge Frau (36) in sachlich-kühlem Ton, als erstatte sie Bericht über etwas, das mit ihr nichts zu tun hat. Keine Regung, kein Zucken, kein Herumrutschen auf dem Sessel. Mimik und Körper der Klientin zeigen ihre eiserne Beherrschung der Emotionen.

Ich bitte sie, mir von ihrem leiblichen Vater zu erzählen. Die Geschichte ihrer Zeugung, das Verlassenwerden der Mutter während der Schwangerschaft und der nicht existierende Kontakt zu ihrem Vater – alles erklingt im selben nüchternen Berichtston, ohne jedes Gefühl. Alles an der Klientin strahlt aus, daß sie sich damit nie befaßt hat, weil der Schmerz zu groß wäre.

Wir fahren fort mit der Erläuterung des Familienbildes. „Was ist das hier“, frage ich und deute auf einen kleinen Kringel mit Ohren, der auf dem Bild zu Füßen der Klientin sitzt.

„Das ist mein Hamster, kann die Klientin mit leiser brechender Stimme gerade noch sagen, dann bricht sie in Tränen aus. „Der Hansi“, schiebt sie mit erstickter Stimme noch nach, bevor ein Weinkrampf sie durchschüttelt. Beim Hamster erlaubt die Klientin sich Gefühle, die sie sich beim leiblichen Vater (noch) verbietet.

Dann erzählt sie mir ihre ergreifende Hamster-Geschichte: Als sie neun Jahre alt war, vergaß sie an einem heißen Sommertag, dem Hamster Wasser zu geben. Abends lag er tot im Käfig. Jämmerlich verdurstet

Diese Schuld quält sie noch heute. Unbewußt. Denn bis zum Familienbild war der Klientin dieses Jahrzehnte zurückliegende Ereignis nicht präsent.

Doch es blockierte ihren Kinderwunsch, denn eine Stimme in ihr sagte: „Wenn Dir ein kleines hilfloses Wesen anvertraut ist, wirst Du es umbringen, weil Du nicht achtsam genug bist. Also ist es besser, du wirst nicht schwanger und bekommst kein Kind. Denn du wirst es töten!

In nur einer Sitzung gelangten die Klientin und ich zu zwei äußerst wichtigen Lebensthemen und legten den Kern ihrer Blockade beim Kinderwunsch frei. Dank Familienbild. Ein wundervoll sanfter Weg zum Wesentlichen.

Neues von der Künstlichen Dummheit

Die Schule meines Sohnes veranstaltete kürzlich einen Informationsabend zum Thema Künstliche Intelligenz in der Schule. Der Original-Titel lautete: „Nutzung von Generativer Künstlicher Intelligenz im schulischen Alltag“. An diesem hinkenden Behörden-Deutsch erkennt man, daß KI bei der Formulierung des Textes beteiligt war und kein die deutsche Sprache liebender Mensch gegengelesen hat.

Anmerkung am Rande: Meine obige Formulierung „kein die deutsche Sprache liebender Mensch“ wird vom KI-Programm Chat GPT als „stilistisch holprig“ kritisiert. Besser sei: „kein sprachbewußter Mensch“. Woran man die Dummheit der Künstlichen Intelligenz erkennt, denn sich etwas bewußt zu sein ist ganz etwas anderes, als etwas zu lieben.

Zurück zum Thema: Der referierende Experte war früher Journalist und arbeitete unter anderem bei der „Süddeutschen Zeitung“ und der Deutschen Presseagentur. Nun betreibt er eine Kommunikationsagentur mit Schwerpunkt KI.

Er pries in seinem Vortrag einen KI-Schreibassistenten namens „DeepL Write“. Der könne Stil, Rechtschreibung und Grammatik von Texten verbessern.

Da wurde ich hellhörig, denn seit meiner Studienzeit folge ich Nietzsches Diktum: „Den Stil verbessern – das heißt den Gedanken verbessern. Denken und Formulieren bedingen und befruchten einander. Wer wirr formuliert, der denkt auch wirr.

Die Anbieter von DeepL loben das Programm als „KI-Schreibassistent für eine souveräne Ausdrucksweise“, mit dessen Hilfe man flüssige, professionelle und natürliche Formulierungen“ erhalte. – Nichts davon stimmt. Hier drei Beispiele dafür, wie DeepL Texte verhunzt, weil es sie nicht versteht:

Beispiel 1:
Neues Testament
: „Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.“
DeepL-Verschlimmerung: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden Besitzer des Erdbodens sein.“
Hier „denkt“ die Maschine dumpf wie ein Immobilienmakler und vernichtet das Reichs“-Bild, so daß die Einbildungskraft des Lesers nicht angeregt wird.

Beispiel 2:
Goethe
: „Am 28. August 1749, mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt.“
DeepL-Verschlimmerung: „Am 28. August 1749 um zwölf Uhr mittags wurde ich in Frankfurt am Main geboren.“
Hier eliminiert die Maschine das Sinnliche und die Poesie (der Glockenschlag!) und konstatiert nur noch bürokratisch einen Sachverhalt. Zudem ist die kreative Spannung von „Ich“ und „Welt“ ausgelöscht – das Lebensthema Goethes, das er ganz bewußt an den Anfang seiner Autobiografie setzte.

Beispiel 3:
Ich
(ein Text aus einem alten Newsletter): „Der Frühling ist die hohe Zeit der Aggression: Die Bäume schlagen aus, die Säfte schießen ein, die jungen Triebe durchstoßen die Erde.“
DeepL-Verschlimmerung: „Der Frühling ist die Zeit der Aggression: Die Bäume treiben aus, die Säfte sprudeln, die jungen Triebe durchbrechen die Erde.“
„DeepL“ hat das getilgt, worum es geht: Aggression. Statt „schlagen“ „treiben“, statt „schießen“ „sprudeln“. Der Sinn des Textes ist zerstört!

DeepL“ banalisiert Texte, ebnet sie ein, bläht sie mit Phrasen auf, tötet Atem, Rhythmus und Fluß und massakriert jede Geschmeidigkeit und Melodie Mit anderen Worten: Es schreibt so wie 97 Prozent der deutschen Journalisten. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe 25 Jahre lang als Redakteur gearbeitet und kenne die Texte der Lohnschreiber in der Rohfassung. Da mußte ich viel Stroh zu Gold spinnen ...

Warum produziert „DeepL“ miserable Texte? Der Grund ist prinzipieller Natur: Künstliche Intelligenz ist nicht künstlich, denn die Daten (Texte), mit denen sie arbeitet, stammen von Menschen, enthalten also all deren Verzerrungen und Dummheiten. Und die Künstliche Intelligenz ist nicht intelligent, weil sie die Daten stumpf und mechanisch mit den Methoden der Statistik aufbereitet.

Kurzum: Künstliche Intelligenz denkt nicht, kann nicht denken

„DeepL“ arbeitet mit dem angehäuften schlechten Deutsch von Journalisten und Bürokraten, mit dem es gefüttert wurde. Also: Garbage in – garbage out.

Am Ende des Vortrags zur KI in der Schule gab es die erfreulichste Folie des Abends. Darauf stand zu lesen: „Es wird eine Renaissance des von Menschen gemachten Contents geben. Qualität wird zum Unterscheidungsmerkmal.“ (Der Begriff „Content“ ist typisches Journalisten/Marketing-Dummdeutsch, wie es KI-Programme ständig ausspucken.)

Man könnte auch sagen: Für den Pöbel reichen die von der KI zusammengeschusterten Inhalte, die „Elite“ leistet sich von Menschen erstellte Inhalte – für die einen Adiletten, für die anderen rahmengenähte Maßschuhe.

Dazu paßt, daß viele Menschen die KI-Sprach-Verkrüppelungen nicht bemerken, weil sie das Niveau der ARDZDFSPIEGELZEITFAZ-Sprache gewöhnt sind. Wer nur Ketchup ißt, glaubt wirklich, so schmecke eine Tomate ...

Vor zwei Jahren hab' ich mich zum ersten Mal mit Texten befaßt, die von KI-Programmen erstellt wurden. Die von den KI-Jüngern behaupteten Verbesserungen kann ich nicht erkennen. Mein Fazit fällt deshalb genauso aus wie vor zwei Jahren, und ich formuliere es wieder mit dem Zitat des österreichischen Dramatikers Johann Nestroy: „Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer ausschaut, als er wirklich ist“.

Meine Botschaft an Sie, liebe Leser: Ihren eigenen Sprach-Stil zu verbessern ist Teil Ihres persönlichen Wachstums, denn Sie verbessern dadurch Ihr Denken. Dafür brauchen Sie keine KI. Im Gegenteil!

Heilsame Schönheit: Bäume

„Ich verstehe nicht, wie man an einem Baum vorübergehen kann und nicht beglückt sein, daß man ihn sieht?“, sagte Dostojewski. So geht’s mir auch. Deshalb zeige ich Ihnen hier besonders beglückende Bäume, an denen ich vorübergegangen bin. 

Bergahorn

Während in München die Amseln schon fleißig flirten und bald mit dem Nestbau beginnen, zeigt tief in Tirol der Winter noch seine Kraft und Schönheit. Im verschneiten Talschluß nahe Praxmar reckt sich diese Zirbelkiefer stolz in die Höhe. Als ich vor ihr stand, spürte ich, wie allein ihr Anblick auch bei mir zu mehr Aufrichtung führte. 
Bei der Lüsener Alm, Lüsenstal, Tirol

Gedanken-Pfeil

Medizin: Man paukt einen Haufen Fakten und Informationen und wendet sie dann ziemlich mechanisch auf freundliche, arglose Leute an. Für mich ist das eher eine mit Heiligenschein versehene Klempnerarbeit. Ich finde es nicht nett, die Menschen so zu behandeln.“
Ken Wilber (*1949), Autor und Theoretiker der transpersonalen Psychologie

Lesefrucht: Vom (Un-)Glück der Therapeuten

Automechaniker haben’s gut. Ärzte auch. Stottert der Motor, greift der Mechaniker zum Werkzeug und richtet selbst die Maschine, so daß sie wieder wohlig schnurrt. Und der Arzt kann jederzeit in die von fürsorglichen Pharmareferenten gut gefüllte Medikamenten-Schublade greifen, wenn er glaubt, seine Körper-Maschine ölen zu müssen.

Psychotherapeuten dagegen können sich mit solchen Münchausen-Tricks nicht am eigenen Schopf aus dem Lebenssumpf ziehen. Patienten und Klienten neigen dazu, Therapeuten zu idealisieren: Die haben ihr Leben im Griff; sind in glücklichen Partnerschaften; nehmen mutig, ausgeglichen und gelassen den Kampf mit den Unbilden des Alltags auf. Denn sie wissen ganz genau, was wichtig ist, damit man sich nicht in den eigenen Gefühlen und Selbsttäuschungen verheddert.

Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun. Deshalb hier für Sie einige Erkenntnisse, die die Psychoanalytikerin Eva Jaeggi in ihrem Buch „Und wer therapiert die Therapeuten?“ gesammelt hat:

„Bei Psychotherapeuten geht es privat ebenso drunter und drüber wie bei allen Menschen: problematische Kinder, zerbrechende Partnerschaften, Streit mit den Eltern ... Und mit dem ‚konstruktiven‘ Besprechen und offenen Aushandeln aller Schwierigkeiten ist es meist auch nicht weit her.

Es scheint tatsächlich, als ob ein vertieftes Wissen um menschliche Konflikte und die dazugehörigen Abwehrformen die eigene private Situation nicht unbedingt verbessert, im Gegenteil.

Es scheint bei Therapeuten einen Punkt zu geben, wo aus Wohltat Plage wird und die Fähigkeit zur Beurteilung der Befindlichkeit von Menschen allzu leicht dazu benutzt wird, um die eigene Lebenssituation – mehr oder weniger festgefahren – so zu beschreiben, daß vor allem die anderen sich verändern müssen oder daß auch die Familie zwangsweise in einen Prozeß der Reflexion eingebunden wird, den diese ganz und gar nicht anstrebt. All dies wird von Familienangehörigen oft als allzu anstrengend erlebt und die familiären Beziehungen verschlechtern sich.

Selbsttäuschungen machen auch vor therapeutisch geschulten Menschen nicht halt. Ehe-Therapien suchen nur wenige, nämlich 15 Prozent auf. Der therapeutische Rahmen ist einer, in dem – in dosiertem Maß – dem Psychotherapeuten vom Patienten Möglichkeiten der Expertendominanz gestattet werden. In der Partnerschaft ist solches Tun nur mehr ein Machtspiel ohne jede Erlaubnis von seiten des anderen.

Während Therapeuten selbst sehr häufig der Meinung sind (71 Prozent), daß ihr Beruf ihnen auch im Familienleben zugute kommt, sehen dies die Partner und Kinder anders. Die Kinder von Psychotherapeuten sind oft nicht in der glücklichen Lage, allseits empathische Eltern zu haben. Die Kinder können sich oft nicht gegen die aufgepfropften Analysen durch die Eltern wehren und reagieren mit extremer Entfremdung.

Oft schirmen sie sich gegen ihre Eltern innerlich stark ab und entwickeln kein Gefühl dafür, daß man in der Familie Intimität genießen könnte. Sie müssen sozusagen immer wachsam sein, damit man ihnen ihr Eigenleben nicht dauernd wegnimmt.

Das Kind eines Psychotherapeuten antwortete, als es nach seinem Berufswunsch gefragt wurde: Ich möchte Patient werden. Das erschien ihm als die einzige Möglichkeit, die Aufmerksamkeit des Vaters zu erringen.

Fazit: Das Privatleben von Psychotherapeuten ist nicht besser organisiert als das der Normalbevölkerung.“

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