Seitenblick - Der Newsletter von Odysseus Kinesiologie & Coaching

Kindheit, Verrat und Untertanen

Meine Themen heute für Sie: Ein Leben lang rinnt unsere Kindheit an uns hinab | Immer wieder erstaunlich: die digitalen Höhlen-Menschen | Heilsame Schönheit: Bäume tun uns gut | Kluges von Anaïs Nin | Der betreute Mensch ist der neue Untertan | Viel Vergnügen beim Lesen!

Dieser Newsletter ist zu 100 Prozent frei von KI. Was Sie hier lesen, ist auf meinem Mist gewachsen. Und bekanntlich wachsen auf dem Mist die schönsten Rosen.

Eine Bitte: Wenn Sie jemanden kennen, den das, was ich hier erzähle, interessiert, leiten Sie ihm diesen Newsletter weiter. Dankeschön!

Wolfgang Halder, Odysseus Kinesiologie & Coaching

Unser Gefängnis namens Kindheit

Ohne unsere Eltern gäbe es uns nicht. Doch mit unseren Eltern – genauer: durch unsere Eltern – wird uns das Leben oft zur Qual gemacht. Und wir brauchen fast das ganze Leben, um uns von unseren Eltern und dem, was sie uns „vererbt“ haben, zu befreien und einigermaßen heil zu werden. Mit anderen Worten: Allzu oft ist unsere Kindheit das Gefängnis unserer Seele.

Als Kind sind wir unseren Eltern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Wir entwickeln notgedrungen Strategien, um trotz dieser Eltern zu überleben. Diese Überlegungen rauschen mir täglich durch den Kopf, wenn ich mit Klienten arbeite und diese mir ihre Lebensgeschichte erzählen.

Dann kommen mir auch stets die großartigen Worte des Wiener Schriftstellers Heimito von Doderer in den Sinn: „Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer. Später erst zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln, wie er will.“ 

Besonders schmerzhaft wurde mir das wieder bewußt, als ich mit dem zehn Jahre alten Mädchen Laura arbeitete. Bei diesem Hausbesuch war ich Zeuge, wie die Mutter ihrer Tochter einen großen Eimer über den Kopf stülpte. Das Handeln der Mutter gilt als normal „so machen’s doch alle!“ –, und eben das ist das Entsetzliche.

Schon der Beginn des Gesprächs ist bezeichnend. Ich frage Mutter und Tochter, was sie sich von unserer Sitzung wünschen. Die Mutter sprudelt sofort los, die Tochter kommt nicht zu Wort. Als Laura einmal etwas einzuwerfen versucht, unterbricht die Mutter sie harsch mit einem „Laß mich ausreden“, wiewohl sie selbst die ganze Zeit geredet hat. Diese szenische Eröffnung offenbart das ganze Drama von Lauras Kindheit.

Laura hat einige Allergien, ist oft krank, fehlt dadurch häufig in der Schule. Wenn sie Ärger mit anderen hat, sagt in ihr jemand „Mach den kaputt!“. Sie nennt diesen Anteil in sich Zombiebold. Er ist schwarz, sitzt im Bauch, schreit und tobt in ihr und trommelt mit den Fäusten von innen gegen ihren Bauch.

Wenn der Zombiebold übernimmt, rastet Laura aus. Sie brüllt herum, schlägt Dinge kaputt. In der Schule geht sie aufs Klo und schreit dort ihre Wut heraus, wenn die Lehrerin sie kritisiert hat. Zuhause brüllt sie in ihr Kopfkissen. Währenddessen fühlt sie sich schlecht, doch hinterher befreit, als wäre eine Last weg.

Ich frage Laura, wer der Chef im Elternhaus ist. „Mama!“ antwortet sie fest und bestimmt. Dieser Chef gestattet keine Aggression, Wut ist geächtet und verboten. Bestraft wird mit Handyverbot und Zimmerarrest.

Auf einer Tafel an der Wand in Lauras Zimmer stehen die Strafen für die verschiedenen „Vergehen“. Laura hat sich diese Liste zu eigen gemacht und betrachtet sich als bestrafenswert.

Sie fühlt sich vollkommen wertlos; nicht wahrgenommen, nicht ernst genommen. Sie ist wehrlos gegen die Übergriffe der Mutter und älteren Schwester, die einfach in ihr Zimmer kommen und in ihren Sachen herumkramen.

In ihrer Verzweiflung richtet Laura ihre blockierte gesunde Aggression, mit der sie ihre Grenzen schützen will, gegen sich selbst, in Form von Allergien und Ausschlägen. Unser Körper ist die Bühne für die Werke, die unsere Seele nicht aufführen darf.

Der muß weg! Der muß raus!“, sagt Laura mehrmals, als sie mir vom „Zombiebold“ erzählt. „Wie wäre es, wenn er weg wäre?“, frage ich sie. Die Antwort kommt sofort: Wie bei Oma! 

Oma und Opa respektieren ihre Grenzen. Ist sie bei ihnen, wohnt ein anderer „Bold“ in ihr: der Glücksbold. Auch er sitzt im Bauch, er ist gelb, hat blaue Augen und lächelt freundlich. Jenseits des Herrschaftsgebietes der Mutter sind Laura und die in ihr lebenden „Bolde“ andere.

Laura und ich bringen in unserer Sitzung die beide „Bolde“ dazu, miteinander in Kontakt zu kommen, sie befreunden sich sogar. Laura spürt, daß sie den „Zombiebold“ nicht ausrotten muß, sondern, daß er ein sinnvoller Teil von ihr ist. „Zombiebold“ verspricht „Glücksbold“, daß er nicht sofort loswütet, sondern erst mit „Glücksbold“ spricht. Nun ist er nicht mehr allein, hat jemanden, der ihn versteht.

Das wäre ein schöner Anfang, um der kleinen Laura noch mehr Schmerz und Verzweiflung von der Seele zu nehmen. Doch diese Geschichte hat kein Happy End. Die Mutter schreibt mir wenige Tage später, sie wolle keine weiteren Sitzungen für ihre Tochter. Es habe „nichts gebracht“.

Neues von den digitalen Höhlen-Menschen

Ich bin sauer. Richtig sauer. Auf meinen Kinesiologie-Berufsverband. Der fragte in seinem letzten Newsletter allen Ernstes: „Was macht Kinesiologie in Zeiten, in denen immer mehr Balancen auch online abgehalten werden, im Kern aus? Ist der Muskeltest nach wie vor die Methode, über die wir uns definieren?“

Das ist etwa so, als mache ein Fußball-Verband den Vorschlag, „Fußball ganz neu zu denken“ und einfach mal den Ball wegzulassen. Da klappen die Münder nach unten, ob der „disruptiven“ Radikalität dieser Idee. Fußball ohne Ball! Super! Warum sind wir darauf nicht schon früher gekommen?!

Die Kinesiologie ist – wie ich – ein guter früher 1960er-Jahrgang. Seit 1964 dient der geniale Muskeltest als Sonde ins Unbewußte. Kinesiologen erreichen damit in wenigen Sitzungen oft Themen und Tiefen, für die die üblichen psychotherapeutischen Methoden weit mehr Zeit brauchen. Auch die üblichen Coaching-Verfahren sind verglichen mit der Eleganz, Leichtigkeit und Aufdeckungskraft des Muskeltests hilflose Umständlichkeiten.

Was also ist los? Wie kommt ein Kinesiologie-Berufsverband dazu, den bewährten Kern seiner Existenz in Frage zu stellen? Es ist der modische Online-Fetischismus. Die Menschen wollen kaum noch aus ihren digitalen Höhlen raus, sie verweigern immer öfter den Kontakt mit der realen Realität, die nach wie vor ohne App funktioniert.

Ich hab’ mich während der Corona-Panik-Zeit bei meinem Kinesiologie-Berufsverband unbeliebt gemacht. Denn ich machte die Verantwortlichen darauf aufmerksam, daß die kinesiologische Basis-Methode Touch for Health –  also „Gesund durch Berührung“ – Berührung erfordere. Ein Mensch berührt einen anderen Menschen. Da kann sich was ereignen.

Beim Verband kam dieser Hinweis nicht gut an, wollte man doch auf Teufel komm raus den Mitgliedern des Verbandes das Online-Arbeiten mit Klienten schmackhaft machen. Also bekam ich ein herablassend belehrendes Schreiben von Leuten, die von meinen Beiträgen leben und sich mit peinlich gehorsamem Nachplappern der politischen Propaganda jener Zeit disqualifizierten.

Kurzum: Der Verband hat den kinesiologischen Grundgedanken mit Füßen getreten. Natürlich nur virtuell, denn ein echter körperlicher Kontakt geht für diese Leute gar nicht. Sie halten die Menschen lieber per Zoom auf Distanz.

Heilsame Schönheit: Bäume

„Ich verstehe nicht, wie man an einem Baum vorübergehen kann und nicht beglückt sein, daß man ihn sieht?“, sagte Dostojewski. So geht’s mir auch. Deshalb zeige ich Ihnen hier besonders beglückende Bäume, an denen ich vorübergegangen bin. 

Bergahorn

Ein widernatürliches Baum-Trio: Kastanie, Eiche und Buche wurden hier zusammengezwungen, wiewohl sie lieber unter ihresgleichen wären, dann da könnten Sie sich über ihre Wurzeln gegenseitig helfen. So ist jeder Baum einsam und isoliert. Das Menschen-Auge erfreut es – das wissende Herz schmerzt es. Im Hintergrund glänzt der Kochelsee.
Bei Kochel am See

Gedanken-Pfeil

„Es kam der Tag, da das Risiko, in der Knospe zu verharren, schmerzlicher wurde, als das Risiko zu blühen.“
Anaïs Nin (Schriftstellerin, 1903-1977)

Lesefrucht: Betreuung ist Beherrschung

Der betreute Mensch ist die neue Form des Untertanen. Die durch Medien und Politik ständig erzeugte Angst und das damit verbundene Gefühl der Hilflosigkeit schaffen den unsicheren, unselbständigen Menschen, den wir heute überall erleben können. 

Die Grundlage der Sozialstaats-Ideologie ist die Annahme, daß Regierung und Verwaltung besser wissen, was für die Bürger gut ist als diese selbst. Dieses System arbeitet ohne offensichtlichen Zwang, denn es macht die Menschen abhängig wie der Drogenhändler den Süchtigen.

Ist das geschafft, verlangt der Süchtige von sich aus nach einer höheren Dosis und tauscht gern seine Freiheit gegen „soziale Sicherheit“. Freiheit? Wozu? Hauptsache das Amt überweist das Geld pünktlich. Verantwortung? Lieber nicht, das ist zu anstrengend. Viele Menschen essen, trinken und smartphonen sich krank. Na und? Arbeitgeber und Krankenkasse zahlen doch! 

Die Wohlfahrtszwangsjacke führt zur Verkümmerung unserer Freiheits-Fähigkeiten, zu einem umfassenden Infantilismus. Nur wer sein Leben an den Staat und seine Behörden delegiert, kann von diesen „belehrt, betreut und beplant“ werden.

Der Soziologe Helmut Schelsky (1912-1984) hat diese unselige Dreifaltigkeit und die personenzerstörende Wirkung von Wohlfahrtseinrichtungen schon 1975 in seinem Buch „Die Arbeit tun die anderen“ beschrieben. Ich serviere es Ihnen hier zum Start ins neue Newsletter-Jahr, um Ihnen diese versteckten Bremsen für Ihr persönliches Wachstum bewußt zu machen:

„Immer mehr Aufklärung durch Information, immer mehr Einsicht durch Belehrung, immer mehr soziale Gerechtigkeit durch Betreuung, immer mehr Zukunftssicherheit durch Planung, das ist das illusionäre Syndrom des sozialen Heilsglaubens, das Zusammenschießen von Belehrung, Betreuung und Beplanung zur Herrschaftsform über die neugläubigen Massen der modernen Gesellschaft.

Eine Art seelisch-soziale Ohnmacht und Willensschwäche gegenüber dem Praktischen und Erreichbaren, ja eine immer leichtere Flucht in das Selbstmitleid kennzeichnen diesen neuen Untertanen der Betreuungsherrschaft.

Die Meinungsführung der Menschen durch Meinungsherrscher ist die Beherrschungsform des Zeitalters. Die Herrschaftsgruppen haben ein Interesse daran, dem Menschen immer mehr von einer Führung seines Lebens aus eigener Lebenserfahrung abzuschneiden. Eine Freiheit, die es heute neu zu erkämpfen gilt, ist die Freiheit des Informierten gegenüber den Informatoren.

Wer lehrt, herrscht. Daß jede Art von Lehre vom Elternhaus und Kindergarten über Schulen und Hochschulen aller Art bis zur Erwachsenenbildung hin eine Form von Machtausübung ist, war bisher wenig bewußt. Das Gesamtsystem Schule stellt heute das große Domestikationsinstrument gegenüber der Bevölkerung dar. Von allen unechten Versorgungsbetrieben ist die Schule die heimtückischste.

Die fast einer Gehirnwäsche gleichkommende Überbetonung der ,Randgruppen’ in Rundfunk und Fernsehen schafft eine Dramaturgie der soziale Ungerechtigkeit und Hilfebedürftigkeit, von der sich seitens der Autoren nicht nur gut leben, sondern vor allem gut herrschen läßt.

Die Frage der Freiheitsansprüche der Menschen gegen die Herrschaftsformen des Belehrens, Betreuens und Beplanens ist bisher kaum ins politische Bewußtsein gedrungen; es gibt keine Partei, in deren Programm die Forderungen grundsätzlich auftauchen.“

Newsletter-Archiv

In meinem Newsletter-Archiv Gedanken und Spitzen finden Sie die besten Beiträge vergangener Ausgaben.

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