Beim Begriff „Trauma“ zucken viele zusammen, weil sie an schreckliche Ereignisse und Erlebnisse denken; etwa Krieg, Folter, Unfälle oder Vergewaltigung. Doch das erfaßt nur das Schock-Trauma.
Weit häufiger ist das Entwicklungs-Trauma, das meist auf Samtpfoten daherschleicht, so daß wir es gar nicht wahrnehmen und eine Störung unserer Gesundheit und unseres Wohlbefindens nicht damit in Verbindung bringen, zumal diese Mini-Schocks oft lange zurückliegen.
Solche unscheinbaren frühen Wunden quälen Millionen Menschen. Das ist nicht nur individuelles Schicksal, sondern ein Merkmal der ganzen Gesellschaft. Der Heilpraktiker und Autor Gopal Norbert Klein fällt ein harsches Urteil: „Das gesamtgesellschaftliche Klima ist vom Trauma geprägt“.
Wer offenen Auges und vor allem Herzens durch unsere Zeit geht, kann nur nicken und nochmals nicken, wenn er diesen Urteilsspruch liest.
Hilfe gegen diese allgegenwärtige Entwicklungs-Traumatisierung präsentiert Klein in seinem Buch „Der Vagus – Schlüssel zur Traumaheilung“, das ich jedem ans Herz legen möchte. Vor allem Eltern und werdenden Eltern, denn sie geben ihre eigenen unerkannten und unbearbeiteten Traumata unbewußt weiter an ihre Kinder.
Das muß nicht sein. Wenn wir unsere Traumata lösen, helfen wir uns und unseren Kindern ... und Enkeln ...
Hier der Kern von Kleins Analyse unserer Trauma-Gesellschaft im Originalton:
„Unsere gesamte Gesellschaft ist entwicklungstraumatisiert. Sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene schützen wir uns vor den Erlebnissen, die wir in der Kindheit ausblenden mußten, um zu überleben.
Das gesamtgesellschaftliche Klima ist vom Trauma geprägt. Es gehört nicht zum Standard, sich ehrlich mitzuteilen, innere Regungen wahrzunehmen und anderen gegenüber zu äußern, im Umgang miteinander zärtlich zu sein, Bedürfnisse von Kindern zu bemerken und völlig frei von eigenen inneren Unebenheiten darauf zu reagieren.
Wir sind eine Gesellschaft von Robotern geworden, deren Ideal maximale äußere Leistungsfähigkeit und Selbstbetäubung ist.
Was wir derzeit sehen, ist daher im Wesentlichen eine Gesellschaft, die aus der Kompensation von Traumamaterial besteht. Genau auf dieser Kompensation dessen, was in uns nicht verarbeitet werden konnte, beruhen ganze Wirtschaftszweige, Teile des Gesundheitswesens, die politische Situation.
All die Probleme, die wir in der Gesellschaft haben, basieren darauf, daß wir bestimmte Bereiche unserer Selbst ausblenden – und wir müssen sie ausblenden, solange wir nicht wissen, wie wir als Individuum und auch als Gesellschaft damit sinnvoll umgehen können.
Das Leben kreist im Grunde um Beziehung und Austausch. Doch genau darauf richten wir unseren Fokus nicht. Wir wollen alle frei von Leiden sein – aber wir suchen nicht wirklich dort, wo das Problem liegt. Wir alle wollen glückliche Beziehungen – aber wir wissen nicht, wie wir das anstellen sollen.
Wir wollen unsere vielfältigen Konflikte beenden – aber wir haben keine Ahnung, worauf diese Konflikte tatsächlich basieren und warum es uns schlecht geht, warum wir so viel Streß haben, warum wir unter Ängsten, Depressionen, Überforderung oder Süchten leiden.
Es fehlt uns das Verständnis für uns selbst und unsere Mitmenschen, und wir haben gesamtgesellschaftlich überhaupt keine Methoden etabliert, um miteinander zu heilen und uns zu regulieren.
Die Beziehungsfähigkeit, besonders in den westlichen Industrienationen, war wohl noch nie so gering ausgeprägt wie heute. Entsprechend groß ist das Leiden.“