Das kranke Normale und gesunde Wut
Meine Themen heute für Sie: „Die Normalen sind die Kränkesten“, sagte Erich Fromm schon vor 50 Jahren; seither ist es noch schlimmer geworden | Sind Kinder nur zum Betreuen da? | Heilsame Schönheit: Bäume tun uns gut | Kinesiologie hilft, wenn's in der Seele unübersichtlich wird | Wut ist ein Schlüssel zur Gesundheit | Viel Vergnügen beim Lesen.
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Wolfgang Halder, Odysseus Kinesiologie & Coaching
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Das Normale ist das Gefährliche |
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Als mich kürzlich in einer Sitzung eine intelligente, feinfühlige, wissens-, erfahrungs- und lebensdurstige, junge Frau mit verzweifeltem Blick fragte: „Sagen Sie ehrlich, bin ich ein hoffnungsloser Fall?“, gab mir das einen Stich ins Herz.
Welche unbewußte Verdrehung aller Werte und Maßstäbe kommt da zum Ausdruck?! Welche höchst zweifelhaften Wertungen anderer über sie hat diese Frau zu ihrem Schaden übernommen?! Doch zum Glück nur zum Teil, sonst wäre sie nicht bei mir, stellte mir nicht diese Frage.
Denn sie spürt trotz ihrer schmerzlich verschütteten Lebendigkeit, daß etwas nicht stimmt mit diesen Maßstäben der anderen. Und da sind wir bei der „Pathologie der Normalität“, wie der Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm (1900-1980) schon 1953 das Hauptmerkmal unserer Zeit auf den Punkt gebracht hat.
1977, ein Vierteljahrhundert später, sagte Fromm in einem Gespräch: „Glücklich der, der ein Symptom hat, denn es zeigt ihm, daß etwas nicht stimmt. Die Normalen sind die Kränkesten. Die Kranken sind die Gesündesten.
Der Mensch, der krank ist, der zeigt, daß bei ihm gewisse menschliche Dinge noch nicht so unterdrückt sind, daß sie in Konflikt kommen mit den Mustern der Kultur und daß sie durch diese Friktion Symptome erzeugen. Ein Sympton ist wie Schmerz nur ein Anzeigen, daß etwas nicht stimmt.
Sehr viele Menschen, die sogenannten Normalen, haben sich so angepaßt, haben alles, was ihr eigen ist, verlassen, sind so roboterhaft geworden, daß sie schon gar keinen Konflikt mehr empfinden.“ (Hier das ganze Gespräch mit Erich Fromm.)
Diese verkümmerten, ja, verkrüppelten heutigen Standard-Ausgaben des Menschen bilden die Meßlatte für die „Normalität“. Als vor ein paar Jahren Propaganda-Politiker (ein weißer Schimmel diese Formulierung, ich weiß) das „neue Normal“ erfanden, potenzierte sich der Pathologie-Faktor der „Normalität“.
Mit anderen Worten: Wer unseren heutigen „normalen“ Alltag ohne irgendein Symptom leben kann, ist schon so abgestumpft, so dumpf, so entmenschlicht, so abgetötet, daß man heulen möchte.
Also: Erfreuen wir uns an unseren Symptomen! Begrüßen wir sie als Zeichen unserer Lebendigkeit! Gehen wir dann an die Wurzeln und legen unser ureigenes Selbst frei! Es ist der Ursprung unserer Lebendigkeit. Hier beginnt Heilung.
Die „Normalen“ sind die „hoffnungslosen“ Fälle! |
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Mittwochnachmittag in einem Ausflugs-Café nahe der Stadt. Es sind also fast nur Rentner, Studenten oder Freiberufler dort. Und eine junge Mutter mit ihrem etwa zweieinhalb Jahre alten Sohn. Der erfreut sich – genau wie ich – an den Eseln, die nebenan grasen und ab und an ihr märchenhaftes IIIAAAH erklingen lassen.
Die Oktobersonne wärmt uns. Alles ist gut.
Dann kommt ein Rennradler. Sein ganzer Habitus strahlt aus, daß er ein Effizienz-Mensch ist, der zwischen zwei wichtigen Geschäftsterminen eine Runde radeln einschiebt – man muß sich ja fit halten! – und hier schnell auf einen Espresso einkehrt, um sich wach zu machen für den nächsten wichtigen Termin.
Er setzt sich an den Tisch neben der Mutter, deren Sohn mit Kastaniensammeln befaßt ist, und knallt ihr unvermittelt diesen Satz um die Ohren: „Na, keinen Betreuungsplatz für den Kleinen bekommen?!“
Zu meinem Erstaunen antwortet die Mutter freundlich auf diese übergriffige Unverschämtheit: Sie arbeite nur halbtags, habe gerade ihren Sohn aus dem Kinderhort abgeholt, und nun seien sie hier, um den schönen Nachmittag zu genießen.
„Aber eine Ganztagsbetreuung wäre schon besser, oder!?“, insistiert der Effizienzling vom Nebentisch, kippt seinen Espresso runter und glaubt, mit seiner Bemerkung der Mutter aus der Seele gesprochen zu haben, als wäre es ihr größter Wunsch, ihr Kind loszuwerden statt mit ihm einen Nachmittag in der Natur zu verbringen.
„Ganztagsbetreuung“ ist für den Radler das Normale. Ich höre ihn geradezu denken: Welche normale Mutter will denn schon mit ihrem Kind zusammen sein? Ist ja abartig, dieser Wunsch, wo man in der Zeit doch was Sinnvolles machen könnte, etwa mit Excel-Tabellen jonglieren oder ein Selfie von sich auf dem Rennrad bei Instagram posten.
Ich schau dem Buben weiter beim Hantieren mit Blättern, Eicheln und Kastanien zu und denke leicht wehmütig an die Zeiten zurück, als meine Kinder so die Welt entdeckten.
Zugleich ärgere ich mich über diesen Rennradler, diesen Stellvertreter unserer verdrehten Zeit, der so gar keine Ahnung vom Menschen zu haben scheint. Wir wissen schon lange, daß die ersten tausend Tage in der Entwicklung eines Kindes entscheidend dafür sind, ob es sicher gebunden ist und einen stabilen Selbstwert entwickelt.
Was darüber entscheidet, ob ein Kind später, wenn es erwachsen wird, Betäubungsmittel braucht, welcher aller Art auch immer, um überleben zu können: also Erfolg, Macht, Einkommen, Status usw.
Damit ein Kind einen stabilen Selbstwert entwickelt, bedarf es einer festen Bindung an Menschen, denen das Kind wichtig ist, und die es nicht nur gegen Bezahlung betreuen. Eltern betreuen ihre Kinder nicht – sie leben mit ihnen. Das ist ein großer Unterschied. Das ist der entscheidende Unterschied.
„Betreuen“ gehört zu den be-Wörtern. Ein paar Beispiele für diese unangenehmen Wort-Genossen:
- be-lehren
- be-spaßen
- be-steuern
- be-lügen
- be-wachen
- be-trügen
- be-spitzeln
- be-strafen
Ich mag diese Wörter nicht. Denn in allen be-Fällen machen Menschen im Rahmen eines Machtgefälles andere zu Objekten ihrer Maßnahmen – z.B. der Bestrafung oder Betreuung. Das ist das Gegenteil von persönlichem Wachstum. Und zwar für beide Seiten! |
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Heilsame Schönheit: Bäume |
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„Ich verstehe nicht, wie man an einem Baum vorübergehen kann und nicht beglückt sein, daß man ihn sieht?“, sagte Dostojewski. So geht’s mir auch. Deshalb zeige ich Ihnen hier besonders beglückende Bäume, an denen ich vorübergegangen bin.
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Keine Zeichen von Zivilisation sieht diese Kiefer bei ihrem Blick übers Tal. Sie weiß nicht, daß der Berg im Hintergrund Zugspitze heißt und der Fluß im Talgrund Loisach. Doch diese ehrwürdige Kiefer – da bin ich mir sicher – nimmt wahr, daß ich voller Bewunderung vor ihr stehe und sie anblicke. Ein Lebewesen erkennt das andere. Bei Eschenlohe, Werdenfelser Land |
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K.k.K. – Kommentare kluger Kinesiologen |
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„Kinesiologie ist ein entscheidendes Instrument, mit dem Menschen ziemlich schnell etwas in ihrem Leben ändern können. Und deshalb kann jemand, der kinesiologisch arbeitet, einem anderen viel schneller helfen als mit einer konventionellen Ausbildung.
Wenn man die Kinesiologie mit anderen Wissensgebieten verbindet, ist sie ein Werkzeug, das sich universell einsetzen läßt. Wenn jemand tief in psychotherapeutische Prozesse einsteigen will, hat das Muskeltesten eine Menge zu bieten.
Und wenn die Dinge zu unübersichtlich werden, kommt man über den Muskeltest am ehesten zu genauen Ergebnissen und weiß präziser, welcher Weg eingeschlagen werden sollte.“ Peter Erikson |
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Lesefrucht: Wut braucht Ausdruck, dann ist sie heilsam |
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Wut ist eines der „Sieben Prinzipien der Heilung“. Das sagt der ungarisch-stämmige kanadische Arzt und Autor Gabor Maté in seinem Buch „Wenn der Körper nein sagt“. Das deckt sich mit den Erfahrungen, die ich bei meiner Arbeit mit Klienten mache.
Nicht erlaubte, nicht gelebte, nicht erlebte Wut ist ein häufiges Thema, das vielen Menschen das Leben erschwert und zahlreiche Krankheits-Symptome hervorruft, bis hin zum Krebs. Maté zitiert dazu eine Filmfigur Woody Allens mit dem – leider zutreffenden – Satz: „Ich werde nie wütend, ich lege mir stattdessen einen Tumor zu“.
Lesen Sie, was Gabor Maté zur heilenden Kraft von gesunder Wut schreibt:
„Die Verdrängung von Wut macht nicht nur für Krankheiten anfällig, sondern man hat auch gesehen, daß die Erfahrung von Wut die Heilung fördert oder zumindest das Leben verlängert. Menschen mit Krebs, die Wut, beispielsweise auf ihren Arzt, aufbringen konnten, lebten länger als ihre friedlichen Mitpatienten.
Sowohl die Verdrängung von Wut als auch ihr unkontrolliertes Ausleben sind Beispiele für eine anomale Freisetzung von Emotionen, die Krankheiten zugrunde liegt. Sowohl Verdrängung als auch Raserei stellen eine Furcht vor der echten Erfahrung von Wut dar.
Gesunde Wut ist eine Stärkung und Erleichterung. Die reale Erfahrung von Wut ist eine physiologische Erfahrung, ohne sie auszuleben. Sie ist eine Kraftwoge, die das System durchläuft. Gleichzeitig sind alle Ängste vollständig verschwunden.
Wenn die Wut entwaffnet wird, wird auch das Immunsystem entwaffnet. Wenn die aggressive Energie der Wut nach innen umgelenkt wird, gerät das Immunsystem in Verwirrung. Unsere physiologische Abwehr bietet uns dann keinen Schutz mehr oder kann sogar anfangen zu meutern, indem sie den eigenen Körper angreift.
Menschen, bei denen Krebs oder eine Autoimmunerkrankung diagnostiziert wurde, die an chronischer Müdigkeit oder Fibromyalgie leiden, werden häufig ermahnt, sich zu entspannen, positiv zu denken und ihren Streß zu verringern. All das sind gute Ratschläge, die aber unmöglich befolgt werden können, wenn einer der Hauptquellen von Streß nicht klar erkannt und angegangen wird: die Internalisierung von Wut.
Wut erfordert kein feindseliges Ausleben. Sie ist ein physiologischer Prozeß, der erfahren werden muß. Und sie hat einen kognitiven Wert – sie liefert unerlässliche Informationen. Da Wut nicht in einem Vakuum existiert, muß sie eine Reaktion auf eine meiner Wahrnehmungen sein.
Sie kann eine Reaktion auf einen bereits bestehenden oder drohenden Verlust in einer persönlichen Beziehung sein, oder sie signalisiert eine reale oder drohende Überschreitung meiner Grenzen. Ich kann mich mental stärken, ohne jemandem Schaden zuzufügen, wenn ich mir erlaube, die Wut zuzulassen und darüber nachzudenken, was sie ausgelöst haben mag.
Ich kann dann wählen, meine Wut je nach Bedarf in Worten oder in Taten zu zeigen, aber ich muß sie nicht getrieben in einem unkontrollierten Zornesausbruch ausleben. Gesunde Wut überläßt dem Individuum die Verantwortung, nicht der ungezügelten Emotion.
‚Wut ist die Energie, die wir als kleine Kinder von Mutter Natur erhalten, um für uns selbst einzustehen und zu sagen: Ich bin wichtig‘, sagt der Therapeut John Peterson.“ |
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In meinem Newsletter-Archiv Gedanken und Spitzen finden Sie die besten Beiträge vergangener Ausgaben.
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