Angst-Produktion ist die Hauptbeschäftigung von Medien und Schulen. Kinder und Jugendliche werden absichtlich (teilweise sogar böswillig)in eine verzweifelte Lebenssicht getrieben, so daß sie ernsthaft glauben, die „letzte Generation“ zu sein.
Von dieser Angst durchtränkt werden sie steuerbar, verbissen, selbstgerecht, humorlos, grausam, freudlos und rechthaberisch. Mithin das Gegenteil dessen, was Jugend ihrem Wesen nach ist.
In meiner Jugend wurden fette apokalyptische Säue medial durch die Dörfer getrieben, z.B. der Report „Global 2000“ von 1977 voller Katastophen-Szenarien, die nicht eingetreten sind, obwohl Medien und Lehrer sie so gläubig verkündeten. Als Jugendlicher sucht man Sinn – und ein negativer Sinn („Wir sind die letzten!“) ist einem lieber als gar keiner.
Nach einer wirklichen Apokalypse, dem Ersten Weltkrieg, verfaßte Hermann Hesse 1919 seinen Aufruf an die Jugend unter dem Titel „Zarathustras Wiederkehr“. Gut hundert Jahre liegen zwischen diesem Text und uns Heutigen – und doch spricht er zu uns, als wäre er eigens für uns hier und jetzt verfaßt. Lesen Sie selbst:
„Wir sollten uns des Urteils darüber enthalten lernen, ob die Welt gut oder schlecht sei, und wir sollten auf den seltsamen Anspruch, sie zu verbessern, verzichten.
Oft ist die Welt schlecht gescholten worden, weil der, der sie schalt, schlecht geschlafen oder zuviel gegessen hatte. Oft ist die Welt gepriesen worden, weil der, der sie pries, eben ein Mädchen geküßt hatte.
Die Welt ist nicht da, um verbessert zu werden. Auch ihr seid nicht da, um verbessert zu werden. Ihr seid aber da, um ihr selbst zu sein. Ihr seid da, damit die Welt um diesen Klang, um diesen Ton, um diesen Schatten reicher sei. Sei du selbst, so ist die Welt reich und schön! Sei nicht du selbst, sei Lügner und Feigling, so ist die Welt arm und scheint dir der Verbesserung bedürftig.
Gerade jetzt wird das Lied von der Weltverbesserung wieder so heftig gesungen, so heftig gebrüllt. Wie übel und trunken es doch klingt, hört ihr’s nicht? Wie wenig zart, wie wenig glücklich, wie so wenig klug und weise es klingt.
Merket ihr nicht: Überall, wo das Lied angestimmt wird, da sind Fäuste in der Tasche geballt, da geht es um Eigennutz und um Selbstsucht – ach, nicht um jene Selbstsucht des Edlen, der sein Selbst erhöhen und zu stählen denkt, sondern um Geld und Geldbeutel, um Eitelkeiten und Einbildungen.
Da, wo der Mensch sich seiner Selbstsucht zu schämen beginnt, da fängt er an, von Weltverbesserung zu reden, sich hinter solchen Worten zu verstecken.
Ich weiß nicht, ob die Welt je verbessert worden ist, ob sie nicht immer und ewig gleich gut und gleich schlecht gewesen ist. Dies aber weiß ich: Wenn jemals die Welt durch Menschen verbesssert, durch Menschen reicher geworden ist, so ist sie es nicht durch Verbesserer geworden, sondern durch jene wahrhaft Selbstsüchtigen, zu welchen ich auch euch so gerne zählen möchte.
Jene ernstlich und wahrhaft Selbstsüchtigen, welche kein Ziel kennen, welche keine Zwecke haben, denen es genügt, zu leben und sie selbst zu sein. Sie leiden viel, aber sie leiden gerne. Sie sind gern krank, wenn es ihre Krankheit ist, die sie leiden wollen, ihre wohlerworbene, eigene, eigenste.
Sie sterben gern, wenn es ihr Tod ist, den sie sterben dürfen, ihre wohlerworbener, eigener Tod!
Glaubt nicht, daß die Welt mehr Verbesserung nötig habe, als daß je und je einige Menschen auf ihr wandeln, einige von den Seltenen, die uns beglücken, so wie ein Vogelflug und ein Baum uns beglückt – einfach dadurch, daß sie da sind, daß es solches gibt.
Wenn ihr ehrgeizig sein wollt, Jünglinge, so geizt nach dieser Ehre! Aber sie ist gefährlich, sie führt durch Einsamkeit, und sie kann leicht das Leben kosten.“ |