Vertrauen Sie Ihren Träumen!?
Seitenblick - Der Newsletter von Odysseus Kinesiologie & Coaching

Familienwahnsinn, Träume und der kleine Mann in uns

Meine Themen heute für Sie: Der neue Götze „Mindset“ | Wenn wir's gut meinen, richten wir oft Schaden an – besonders in der Familie | Unsere Träume weisen uns den Weg – wir müssen nur hinsehen | Heilsame Schönheit: Bäume tun uns gut | Kinesiologie ist eine nonverbale Sprache | So aufwühlend wie wahr: Wilhelm Reichs „Rede an den kleinen Mann“. Viel Vergnügen beim Lesen.

Eine Bitte: Wenn Sie jemand kennen, den das, was ich hier erzähle, interessiert, leiten Sie ihm diesen Newsletter weiter. Dankeschön.

Wolfgang Halder, Odysseus Kinesiologie & Coaching

Mindset über alles!

Auf Platz 1 meiner Hitparade des Coaching-Unsinns steht seit vielen Wochen das „Mindset“. Ohne das richtige Mindset kann sich mittlerweile niemand mehr die Schuhe binden oder ein Butterbrot schmieren.

Landauf, landab pfeifen’s alle Spätzchen von den Flachdächern: Ohne das „richtige Mindset“ kannst du nichts, wirst du nichts, hast du nichts: keinen Erfolg, keine Liebe, keinen Selbstwert, keine Karriere, keine nette Schwiegermutter. Und vor allem keine Einnahmen durch Mindset-Kurse, in denen man lernt, wie man sich an einem Nachmittag „schnell und einfach“ mit „Super-Tools“ auf eine „neues, besseres Mindset umprogrammiert“.

Wenn ein Trainer oder Coach nicht weiter weiß, dann greift er zum „Mindset“, das paßt vermeintlich immer. Da hat der Klient was zu beißen und kann sich in Selbstzerknirschung ergehen: Kein Wunder, daß ich so ein Versager bin, bei meinem „falschen Mindset“ ... Genau andersrum wird ein Schuh draus: Wer das Mindset-Geschwätz ernst nimmt, der hat das falsche Mindset.

Was ist besser als Mindset? Ganz einfach: selbst wahrnehmenselbst denken, selbst fühlen. Und auch selbst lesen: zum Beispiel die Odyssee“ – mit dem von mir geschätzten und geliebten Odysseus (meine Gründe dafür lesen Sie hier).

Einmal im Jahr die „Odyssee“ zu lesen – gern als Hörbuch, denn sie besteht ja aus „Gesängen“ –, ist ein Königsweg zum persönlichen Wachstum. Oder, um es mit Platz 2 der Hitparade des aktuellen Coaching-Unsinns zu sagen: ein echter Game Changer“!

Der Familienknoten

„Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.“ So beginnt Tolstojs „Anna Karenina“. Als Romananfang funktioniert dieser Satz gut, doch als Wirklichkeitsbeschreibung funktioniert er meiner Erfahrung nach nicht. Denn ihr Familien-Unglück schneidern viele sich nach ähnlichem Schnittmuster.

Zum Beispiel gibt es den Schnittmusterbogen Auf dem Sterbebett abgenommenes Versprechen. Solch ein Versprechen ist sehr wirkmächtig. Da wird jemand – in bester Absicht, wie so oft, wenn wir Unheil anrichten – genötigt, wenn nicht erpresst, etwas zu versprechen. Wer kann einem Sterbenden etwas abschlagen? Dieses Versprechen hängt dann wie ein Mühlrad um den Hals dessen, der es abgegeben hat. Er quält sich hinfort damit herum.

So auch in der Familie meines Klienten. Deren Knoten sieht so aus: Er, der Klient, hat einen brutalen Scheidungskrieg hinter sich. Die Ex-Frau hat die gemeinsame Tochter rücksichtslos instrumentalisiert und in eine eisige Entfremdung zum Vater getrieben. Vater und Tochter haben seit vielen Jahren keinen Kontakt. Er leidet sehr darunter.

Als die Mutter des Klienten starb, nahm sie ihrem Mann auf dem Sterbebett das Versprechen ab, unbedingt die Versöhnung von Sohn und Enkelin zu bewerkstelligen. Der Ehemann versprach es hilflos.

Der Tod seiner Frau traf ihn tief, und er wäre ihr am liebsten sofort nachgestorben, doch das erlaubte ihm ihr Auftrag nicht. Er darf erst gehen, wenn er den ausgeführt hat. Solange ist er durch sein Versprechen ans Leben gefesselt, dessen er müde ist.

Jetzt hat er einen Anlauf genommen, Sohn und Enkelin wieder in Kontakt zu bringen. Der Sohn, mein Klient, ist nun in der mißlichen Lage, daß er, wenn er den Weg der Versöhnung mit seiner Tochter beschreitet, das Gefühl hat, den Vater zu töten. Das treibt ihn um, raubt ihm den Schlaf.

Ein Stoff wie aus der griechischen Tragödie. Ich bin gespannt, wie der Klient diesen Familienknoten entwirren wird. Womöglich findet er eine Lösung, die ebenso überraschend ist wie der Schwerthieb Alexanders des Großen durch den Gordischen Knoten. In jedem von uns steckt ein Alexander ...

Entscheidungs-Traum / Traum-Entscheidung 

Entscheidungen zu treffen, gehört zu den großen Stressoren unseres Lebens. Deshalb schieben wir sie gern vor uns her oder vermeiden sie ganz.

Von vermeintlichen Entscheidungs-Hilfen wie Pro-und-kontra-Listen hab’ ich mich schon lange verabschiedet. Die gaukeln einem Pseudo-Rationalität vor und dienen nur der Gewissensberuhigung. Zu einer langfristig guten Entscheidung bin ich damit nie gekommen. Ein Waldspaziergang oder eine Bergtour bringen mir mehr Klärung. Gedanken und Gefühle brauchen Bewegung, um sich zu entfalten.

Kürzlich hatte ich wieder einen wichtigen Entscheidungsfall. Es ging um eine Weiterbildung, die einen Zeitraum von einem Jahr beansprucht und eine stattliche Summe gekostet hätte. Konditionen und Beträge waren schon verhandelt, der anderen Seite schien mein Abschluß nur noch eine Formsache zu sein, als ich mir drei Tage Bedenkzeit erbat.

Mir kam es dabei auf die Nächte an, denn ich habe nichts bedacht – damit war ich schon durch –, sondern die Sache beträumt. Ich gab meinem Traumweber den Auftrag, mir einen Traum zur anstehenden Entscheidung zu schicken (diese Technik des „Auftragsträumens“ kann man lernen).

Wichtig: Wenn ich von „Träumen“ spreche, meine ich nicht die „Träume“ aus Kalendersprüchen („Träume nicht dein Leben. Lebe deine Träume.“) oder Werbeslogans („Follow your dream“). Das sind nur Macht- und Konsum-Fantasien, die uns von interessierter Seite eingeblasen werden und die es erst seit kurzer Zeit gibt. Die Träume, von denen ich spreche, sind die seit Jahrzehntausenden mit dem Wesen des Menschen verbundenen inneren „Gesichte“.

Da mein Traumweber – genau wie ich – nicht der gehorsame Typus ist, produzierte er in der ersten und zweiten Nacht nichts Brauchbares. Dann, in der dritten Nacht, war es so weit. Ich merke im Träumen unmißverständlich: Das ist der Traum, den ich bestellt habe, als hätte er eine große leuchtende Aufschrift: „Wolfgang, paß auf! Jetzt kommt die Antwort für Dich!“ Der Traum war kurz und klar – und er nutzte einen Tagesrest.

Dieser Tagesrest war die Kinder-Achterbahn „Wilde Maus“. Ich hab’ von meiner Wohnung Blick auf die Theresienwiese, wo das Münchner Frühlingsfest aufgebaut wurde. An dem Tag wurde die „Wilde Maus“ fertiggestellt und machte die erste Probefahrt. So was liebt mein Traumweber.

Ich bin die „Wilde Maus“ mit meinen Kindern gefahren, doch immer nur ihnen zuliebe. Für mich war es eine Qual. Sie haben gejauchzt – ich hab’ mich am Griff festgeklammert und das Ende der Fahrt herbeigesehnt. Keine Heldentat ...

Im Traum sitze ich allein in der „Wilden Maus“ und frage mich, warum ich mir das antue? Als es steil bergab geht, sausen wir an einer Schrifttafel vorbei, auf der steht: „Du Depp, das ist nichts für dich!“ Eine deutliche Botschaft (nicht jeder Traum verlangt eine ausgeklügelte Symboldeutung). Das war meine Entscheidung – gespeist aus den Tiefen meiner nicht bewußt zugänglichen Weisheit. Der vertraue ich.

In der Stimme des jungen Mannes, der mich am nächsten Vormittag anrief, hörte ich seine Vorfreude über das von mir erwartete Ja zum Abschluß des Vertrags, denn auf der „Sachebene“ waren wir uns einig. Er sah keinen vernünftigen Grund auf meiner Seite für ein Nein.

Deshalb machte ihn meine Entscheidung sprachlos, erst recht meine Begründung. Ich sagte ihm: „Bei wichtigen Entscheidungen kommen sie mit Oberflächen-Rationalität nicht weit. Deshalb nutze ich eine andere Quelle: die Weisheit meiner Träume. Und der Traum, den ich zum Thema bestellt hatte, sagt ganz klar: Das ist nichts für dich. Laß es!“

Ich konnte durchs Telefon seinen ungläubigen Blick hören, der das sagte, was er sich nicht auszusprechen traute: „Ich dachte, ich hätt’s bei ihnen mit einem vernünftigen Menschen zu tun. Und jetzt erzählen sie mir so einen Schmarrn!? Es geht um eine Weiterentwicklung des Geschäftsmodells ihrer Praxis und um viel Geld, da müssen sie als erfahrener Coach doch rational abwägend entscheiden!?“

Er spürte, daß an meiner Entscheidung nicht zu rütteln war und verabschiedete sich mit einem „Darf ich sie weiterhin per E-Mail kontaktieren?“.

Er kann seinen Freunden nun kopfschüttelnd die Geschichte eines durchgeknallten Coaches erzählen, der wichtige Entscheidungen von seinen Träumen treffen läßt. Ich fühle mit ihm, denn so hätte ich's in seinem Alter auch gemacht.

Verstanden hat er mich nicht. Wie auch? Er ist noch zu jung und unerfahren und noch zu sehr von unserem Schul- und Uni-System geprägt, dessen Methoden und Denkraster uns das Leben so erschweren. Es dauert, bis man versteht, daß eine Entscheidungs-Sicherheit, die nicht bewiesen, aber erfahren werden kann, mehr wert ist als jeder Entscheidungsbaum. 

Ich brauche keinen KI-Algorithmus zur Entscheidungsfindung – ich träume lieber ... Dann weiß ich auch, daß meine Entscheidung MEINE Entscheidung ist.

Heilsame Schönheit: Bäume

„Ich verstehe nicht, wie man an einem Baum vorübergehen kann und nicht beglückt sein, daß man ihn sieht?“, sagte Dostojewski. So geht’s mir auch. Deshalb zeige ich Ihnen hier besonders beglückende Bäume, an denen ich vorübergegangen bin. 

Bergahorn

Der Staffelsee bei Murnau ist eines der vielen Überbleibsel der Eiszeit, die das „Blaue Land“ so reizvoll machen, weshalb es zum Land der Maler wurde. Ein paar Dörfer weiter hoben Franz Marc und Wassily Kandinsky 1911 in einer Gartenlaube den „Blauen Reiter“ aus der Taufe. Kandinsky sah ganz sicher auch diese Kiefer, als er in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hier ums Eck wohnte und die Abstrakte Malerei erschuf. Kandinsky ist lange tot. Uns Normalsterbliche erfreut diese eigenwillige Kiefer am Seeufer immer noch.
Bei Seehausen am Staffelsee

K.k.K.Kommentare kluger Kinesiologen

„Kinesiologie ist eine nonverbale Sprache. Sie ist eine Möglichkeit, Informationen zu hören, die den Körper bereits tief durchdrungen haben. Der Trick dabei ist, genau die Frage zu stellen und mit den Methoden zu arbeiten, die das Gesamtpaket von Körper, Seele und Geist öffnen können.“
Richard Utt

Lesefrucht: Morden für Ruhe und Ordnung

Freud – Jung – Reich. Das sind die Namen der drei großen Gründergestalten der psychologischen Menschenerkundung. Und was für sprechende Namen!

Ich widme mich heute dem dritten in der Reihe: Wilhelm Reich (1897-1957) – seines Zeichens Arzt, Psychoanalytiker, Sexualforscher – und seinem Büchlein „Rede an den kleinen Mann“ von 1946. Liest man das Buch mit der Haltung: Der „kleine Mann“, das sind die anderen, dann erschrickt man immer wieder, wieviel kleiner Mann in einem selbst steckt. Doch dieses Erschrecken zeigt zugleich, daß man nicht wirklich zur Gruppe kleiner Mann gehört – die auch Frauen sein können! –, denn ein kleiner Mann erschrickt nicht über sein lebensfeindliches Kleiner-Mann-Sein. Er liebt es.

So bietet Wilhelm Reichs „Rede an den kleinen Mann“ ein reiches Feld für persönliches Wachstum. Da ist viel Luft nach oben – Größe braucht Zeit und Geduld ...

Reich wurde 1956 in den USA zu einer zweijährigen Haftstrafe wegen „Mißachtung des Gerichts“ verurteilt, weil er seine Forschungsarbeit gegen Ignoranten verteidigte. Er widerrief nicht, mußte ins Gefängnis – und starb 1957 in Haft.

Die Schriften und Arbeiten des Juden Wilhelm Reich, der aus Nazi-Deutschland geflohen war, wurden von den US-Behörden verbrannt – da hatte jemand emsig gelernt von den nationalen Sozialisten. Hier wie dort waren kleine Männer am Werk ...

Hören Sie Wilhelm Reich:

„Kleiner Mann, du bist unfähig, das Lebendige in dir zu spüren, weil du die Liebe in deinem Kind erschlägst, erwürgst, noch ehe es geboren wurde; weil du keinen freien, lebendigen Ausdruck, keine freie natürliche Bewegung duldest. Du erschrickst und fragst: ,Was wird Herr Meier sagen?’.

Du wagst es nicht, dir auszudenken, daß du je dein Selbst anders als jetzt empfinden könntest: frei, statt gekrümmt; offen, statt taktisch; liebend am hellen Tag und nicht wie ein Dieb in dunkler Nacht. Du verachtest dich selbst, kleiner Mann.

Der große Mann war einmal selbst ein sehr kleiner Mann, der nur eine einzige wichtige Eigenschaft entwickelte: Er wußte zu erkennen, wo er klein und eng dachte und handelte. Der große Mann weiß also, wann und wie er ein kleiner Mann ist. Der kleine Mann weiß nicht, daß er klein ist, und er fürchtet, es zu wissen.

Du, kleiner Mann, glaubst an Dinge um so fester, je weniger du sie begreifst. Je weniger du begreifst, desto mehr Verehrung bist du bereit zu geben. Du kennst Hitler besser als Nietzsche, Napoleon besser als Pestalozzi. Ein König bedeutet dir mehr als Sigmund Freud.

Dein Sklaventreiber bist du, kleiner Mann! Niemand anderer, so lautet die Wahrheit, trägt die Schuld für deine Sklaverei als du selbst. Niemand anderer! Deshalb kannst nur du dein Befreier sein. Doch du, kleiner Mann, willst nicht die Wahrheit über dich hören. Du willst nicht die große Verantwortung, die dir zukommt, die du hast, ob du willst oder nicht.

Du bist denkfeige, kleiner Mann, weil richtiges Denken mit starken Körperempfindungen einhergeht, und du hast Angst vor deinem Körper, kleiner Mann. Viele große Männer haben dir zugerufen: Horche auf deine innere Stimme, folge deinen wahren Gefühlen. Halte die Liebe hoch! Aber du warst taub, denn du hast den Sinn und das Gehör für solche Worte verlorend.

Als Mutter sagst du zu deinem denkenden Kinde: ,Das ist nichts für Kinder!’ Als Lehrer sagst du: ,Kinder haben still und brav und nicht naseweis zu sein’.

Du glaubst etwas erst, wenn’s in der Zeitung steht, denn deinen eigenen Augen und Sinnen vertraust du nicht. Was in der Zeitung steht, kleiner Mann, das glaubst du, verstanden oder unverstanden.

Du hast den Sinn für das Beste in dir verloren. Du hast es erstickt, und du mordest es, wo immer du es in anderen entdeckst: in deinen Kindern, deiner Frau, deinem Mann, deinem Vater und deiner Mutter. Du bist klein und willst klein bleiben, kleiner Mann.

Ich bin kein Roter und kein Schwarzer und kein Weißer und kein Gelber. Ich umarme eine Frau, weil ich sie liebe und begehre, nicht weil ich einen Eheschein habe. Ich befolge jede gesetzliche Vorschrift, wenn sie sinnvoll ist. Doch ich bekämpfe sie, wenn sie überholt oder sinnlos ist. (Renn nur zum Staatsanwalt, kleiner Mann!)

Ich glaube nicht, daß man, um im guten, echten Sinne religiös zu sein, sein Liebesleben zu erschlagen und an Körper und Seele einzusteifen, einzuschrumpfen oder zu verfaulen hat.

Ich habe Angst vor dir, kleiner Mann, weil du nichts so sehr fliehst wie dich selbst. Du hast Sokrates ermordet, und deshalb steckst du weiter im Dreck. Ja, weil du Sokrates ermordet hast und es noch immer nicht weißt! Du mordest weiter im Interesse von Ruhe und Ordnung; doch du mordest feige, hinterhältig!

Du bist krank, sehr krank, kleiner Mann. Es ist nicht deine Schuld; aber es ist deine Verantwortung, dich von deiner Krankheit zu befreien.“

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