Seitenblick - Der Newsletter von Odysseus Kinesiologie & Coaching

Loyale Organe und heilsames Fremdgehen

Meine Themen heute für Sie: Wer hält immer zu uns? Unsere Organe! Doch wir behandeln sie oft wie Stiefkinder | Arzt-Geschichten (3): „Ich hab' da was für sie“ | Heilsame Schönheit: Bäume tun uns gut | Kinesiologie hilft Ihnen, sich emotional und mental zu wandeln | Fremdgehen tut gut. Allen Beteiligten. Klingt komisch, ist aber so. Viel Vergnügen beim Lesen.

Eine Bitte: Wenn Sie jemand kennen, den das, was ich hier erzähle, interessiert, leiten Sie ihm diesen Newsletter weiter. Dankeschön.

Wolfgang Halder, Odysseus Kinesiologie & Coaching

Die lächelnde Leber

„Dein Körper ist der Tempel deiner Seele, heißt es im Eröffnungsritual einer Tantra-Massage. Für die meisten Menschen gilt dagegen der Satz „Mein Körper ist der Ständer meines Kopfes“. Und als solcher hat er nur eine Aufgabe: gehorsam funktionieren!

Funktioniert er nicht, wird er zur Reparatur gebracht, dieser widerspenstige Körper, damit er möglichst schnell wieder rund läuft ohne herumzuzicken.

Sie können einem leid tun, diese Körper und ihre Organe: 24 Stunden am Tag werkeln und schuften sie ohne Unterlaß. Sie geben alles. Ständig. Für uns. Niemand meint es so gut mit uns wie Nieren, Leber, Darm und alle die anderen Organe. Doch wir würdigen sie keines Blickes, solange sie gehorsam Blut pumpen, verdauen, entgiften, atmen.

Erst wenn eines dieser Organe aus dem Tritt kommt – in aller Regel, weil wir es schlecht behandelt haben! –, wenden wir uns ihm zu: genervt und gereizt, wie bei einem Sklaven, der den Aufstand probt und der erneut zum Gehorsam gezwungen werden muß.

Dabei ist selbst das Nicht-mehr-Funktionieren von Darm oder Herz ein Liebesdienst, weil es uns aufmerksam macht auf eine falsche Lebensführung, die uns schadet.

Unsere Sprache führt uns in die Irre, weil sie ein Subjekt-Objekt-Verhältnis suggeriert, das es so nicht gibt: Ich und meine Organe – als wären das zwei verschiedene Instanzen. Wir haben keine Organe – wir sind unsere Organe. Nicht nur, aber auch. Wir wissen heute, daß bei Organ-Transplantationen Charaktereigenschaften des Organ-Spenders mit transplantiert werden. Dabei ist es doch nur Gewebe, das da den Körper wechselt ...

Es sollte in unserem höchsten Interesse sein, mit unseren Organen befreundet zu sein, besser noch: ihr Liebhaber zu sein. Das geht. Und es geht ganz einfach. Sie brauchen dafür gerade mal drei Minuten am Tag. Das ist gar nichts, verglichen mit den 1.440 Minuten, die Ihre Organe täglich für Sie im Dienst sind.

Ich habe deshalb für Sie eine kleine Übung, wie Sie Ihren Organen die ihnen gebührende Wertschätzung erweisen können. Und ganz nebenbei verbessern Sie Ihr Leben und produzieren Gesundheit. Ihre Gesundheit!

Die Übung heißt Organklopfen. Ich empfehle Ihnen, daß Sie sich Lage und Form Ihrer Organe vorher vergegenwärtigen, dann ist die Kontaktaufnahme mit Ihren Organen intensiver und wirkungsvoller.

So geht’s:

Klopfen Sie
mit Ihren Fäusten sanft und in einem Ihnen angenehmen Tempo das jeweilige Organ und sagen dazu laut und deutlich den unten stehenden Text – das laute Aussprechen ist wichtig, denn dann erreicht die Organe die Botschaft über die Ohren, und das ist weit wirkungsvoller, als wenn sie es nur denken. Probieren Sie’s aus, dann wissen Sie, was ich meine.
Hier der Text – ich nehme als Beispiel die Leber:

  • Guten Morgen, liebe Leber, ich lächle dich an – du lächelst zurück.
    (Lächeln sie dabei. Und stellen Sie sich eine lächelnde Leber vor und nehmen Sie wahr, was das mit Ihnen – und Ihrer Leber – macht!)
  • Du bist so gut zu mir.
  • Ich danke dir für alles, was du für mich tust.
  • Du bist durchströmt, erfüllt, durchpulst von der einen großen Gesundheit.
  • Ich liebe dich.

Wenn Sie mit dem Zaubersprüchlein durch sind, gehen Sie weiter zum nächsten Organ und sagen dazu jedesmal obigen Text mit dem Namen des jeweiligen Organs. Hier die Reihenfolge:

  • Magen
  • Milz und Bauchspeicheldrüse
  • Leber
  • Dünndarm
  • Dickdarm
  • Blase
  • Nieren
  • Lungen
  • Herz

Frauen können zusätzlich Gebärmutter und Eierstöcke klopfen; das empfehle ich besonders meinen Kinderwunsch-Klientinnen.

Machen Sie das ein paar Tage lang und nehmen Sie wahr, wie wohl Ihnen diese liebevolle Zuwendung tut. Und malen Sie sich aus, welch Jungbrunnen diese simple Übung für Sie sein wird, wenn Sie sie über Jahre und Jahrzehnte praktizieren.

Nebenbei bemerkt: Die Übung kostet nichts, Sie müssen in kein Studio, brauchen keine teure Spezialkleidung und auch keine App. Nur ein bißchen Zeit – und viel Liebe.

Arzt-Geschichten (3): noch ein Hausarzt

Im Sommer werde ich 62 Jahre alt. Mein ganzes Leben lang hat mir bei Krankheiten kein einziges Mal ein Arzt geholfen. Wer und was hat mir geholfen? Homöopathen, Osteopathen, Physiotherapeuten, Kinesiologen und Psychotherapeuten; ferner Akupunktur, Hypnose, Tai Chi, Ernährung, Bewegung, ich selbst – und: die Natur

Hier der dritte Teil meiner Arzt-Geschichten, in denen ich Ihnen erzähle, was mich über die Jahre geplagt hat – und was und wer mir geholfen hat. Heute: noch ein Hausarzt.

Sie wollen abnehmen? Dann hab ich einen Geheimtip für Sie: Lassen Sie sich scheiden! Zetteln Sie einen Rosenkrieg an, bei dem Sie alle zwei Wochen einen fünfzigseitigen Schriftsatz vom gegnerischen Anwalt im Briefkasten haben, in dem alles, was in Ihrer Ehe mal eine Bedeutung hatte, auf gemeinste Weise verdreht und verzerrt wird.

Dann sind Sie nach kurzer Zeit 10 Kilo leichter. So war es bei mir. Allerdings erkaufen Sie den Gewichtsverlust mit Schlaflosigkeit und einem zerrütteten Nervenkostüm, das Ihnen ein normales Leben nahezu unmöglich macht. Aber zum Glück gibt es Ärzte, die wissen, was gut für uns ist!

Vor rund zehn Jahren begab sich folgendes in meinem Leben. Am Rande des Nervenzusammenbruchs ging ich zu einem Allgemeinarzt. Der hatte den großen Vorteil, daß seine Praxis im selben Haus war, in dem ich damals gearbeitet habe. Meine dämlichen Entscheidungskriterien waren keine Anfahrt und keine tote Zeit im Wartezimmer, da ich von der Sprechstundenhilfe im Büro angerufen wurde und nur schnell einen Stock tiefer gegen mußte.

Nach etwa 85 Sekunden Gespräch, in dem ich begann, meinen Zustand zu schildern, kam der Wundersatz, den Ärzte so gut beherrschen: „Ich hab' da was für sie“. Sprach’s, zückte seinen Rezeptblock, und verschrieb mir „was ganz Leichtes. Damit kommen sie zur Ruhe und können wieder schlafen. Nehmen sie eine Tablette, bevor sie ins Bett gehen“

Was hatte der „Onkel Doktor“ für mich? Das Anti-Depressivum „Mirtazapin“.

Als ich am Abend dieses Tages die Tablette aus der Folie drückte, hatte ich kein gutes Gefühl. Ich nahm deshalb nur eine halbe. Und diese halbe hat mich eine ganze Woche lang abgeschossen! Ich schlief zwar ein, doch nichts von dem, wozu Schlaf da ist, fand statt. Es war nur eine dumpfe qualvolle Betäubung. Keine Erholung, keine Erfrischung, keine Belebung. Ein grauenvoller Zombie-Zustand.

Vor dieser halben Tablette war ICH schlaflos, unkonzentriert, fahrig, angespannt. Mit dieser Tablette hatte ich das Gefühl, etwas FREMDES ist in mir und treibt da sein Unwesen; ich fühlte mich fremdgesteuert, ausgeliefert und emotional-geistig vergewaltigt.

Am Morgen hatte ich große Mühen, wach zu werden und zur Arbeit zu kommen. Während der Fahrt ins Büro wäre ich fast am Steuer eingeschlafen. Im Büro bin ich am Schreibtisch tatsächlich eingeschlafen. Als Geschäftsführer hatte ich ein eigenes Zimmer, da ging das.

An mir bewahrheitete sich der kluge Satz des kanadischen Arztes Sir William Osler, der als „der bedeutendste Mediziner im englischsprachigen Raum um die Wende zum 20. Jahrhundert“ gilt: „Wer ein Medikament einnimmt, muß zweifach genesen: erstens von der Krankheit und zweitens vom Medikament“.

Erst nach einer Woche fühlte ich mich wieder sauber und giftfrei und konnte wieder klar denken. Das war das erste und letzte Mal, daß ich ein Psychopharmakon eingenommen habe.

Was hat geholfen?

Homöopathie. Also die Methode, die gerade deshalb wirkt, weil sie ohne Wirk-Stoff arbeitet, was ihre Kritiker bis heute nicht begriffen haben. Da wird immer wieder aufs neue etwas „widerlegt“, was nie jemand behauptet hat.

Meine Homöopathin ist mindestens so verrückt wie ich. Da sie hier mitliest, sei mir ein kurzer Gruß an sie gestattet: Hallo, Michaela! – Wenn ich zu ihr gehe, sagt sie nie „Ich hab' da was für dich“ (wir duzen uns), denn ich suche mir mein Mittel immer selbst aus.

Dabei kommen manchmal Sachen raus, die gemäß Homöopathie-Lehrbuch überhaupt nicht passen. Da kann es passieren, daß ich bei etwas lande, das normalerweise bei Menstruationsbeschwerden genommen wird. Sei’s drum  ...

Wir beide, meine Homöopathin und ich, vertrauen der Weisheit meines Systems (der Einheit aus Körper, Geist und Seele) und spielen deshalb unser Spiel, das folgendermaßen abläuft: Ich erzähle, was mit mir los ist – und das dauert in der Regel länger als 85 Sekunden. Währenddessen blättert sie in ihrem Repertorium, macht sich Notizen, grinst mich frech an, streut kesse Kommentare ein, schüttelt ungläubig den Kopf und macht eine Bemerkung zu irgendeinem aktuellen Wahnsinn der Tagespolitik. Dann lästern wir ein Weilchen gemeinsam über Politiker X und Politikerin Y. Kurzum: Wir haben's immer lustig.

Schließlich lege ich mich auf die Behandlungsliege und schließe die Augen. Sie geht zu ihrem Globuli-Schrank und holt einige Röhrchen heraus. Zum einen die „orthodoxen“ Mittel, die in so einem Fall in der Regel gegeben werden, zum anderen die „durchgeknallten“, die sie, irgendeiner Eingebung folgend, dazunimmt.

Sie gibt mir ein Röhrchen nach dem anderen in die Hand, ohne daß ich weiß, was es ist. Ich nehme einfach nur wahr, was das Mittel mit mir macht.

Kaum habe ich es in der Hand, sind meine Reaktionen darauf spannender als jede Netflix-Serie: Mir wird kalt oder schwindlig, ich bekomme einen Druck auf der Brust oder Kopfweh, ich meine grell zu leuchten oder zu rotieren wie ein Spiralnebel oder zerquetscht zu werden, werde ganz wirr im Kopf oder ganz klar, als durchbreche die Sonne den Morgennebel.

In jedem Fall bekomme ich ein eindeutiges Signal, was schlecht für mich ist und was gut.

Das ist Maßarbeit statt „Ich hab' da was für sie“Mein Mittel – für meine Situation – von mir gewählt! Homöopathie von der Stange ist ebenso übergriffig wie Standard-Medizin von der Stange und auch nur eine Variante von „The doctor knows best“; mithin eine Form von enteigneter Gesundheit durch allwissende „Experten“, was leider bis heute die Grundlage unseres Medizinsystems ist.

Gelandet bin ich damals bei Aurum metallicum. Als ich das in die Hand bekam, hatte ich das Gefühl zu schweben. Es war sensationell! Ich wollte es gar nicht mehr loslassen, einfach nur weiterschweben ...

Später las ich in Philip Baileys „Psychologischer Homöopathie“ folgendes zu Aurum: „Wie das Gold, aus dem die Arnzei hergestellt wird, ist der Aurum-Mensch von einer großen Schwere umgeben. Zu den schönsten Erfahrungen bei der Behandlung von Aurum-Fällen gehört es, wenn man sieht, daß etwas Leichtigkeit in ihr Leben kommt.“ Volltreffer! Mein System wußte genau, was es wahrnahm und brauchte.

Ich nahm gleich etwas Aurum metallicum – eine Hochpotenz, ich weiß aber nicht mehr, welche. Und nach kurzer Zeit war ich durch, war wieder in der Lage, mit meinem Leben zurechtzukommen.

Hinzu kam noch ein Satz, ein heilender Satz, den ich kurz darauf bei einem Vortrag von Lama Ole Nydahl hörte, einem Dänen, der seit Jahrzehnten den Menschen im Westen den Diamantweg-Buddhismus nahe bringt, und den ich ohne das Aurum nicht verstanden hätte. Da bin ich mir sicher.

Mit sanfter leiser Stimme sagte Lama Ole zu einer ratsuchenden Zuhörerin, die von erbitterten Erbstreitigkeiten unter Geschwistern berichtete, folgendes:

Lama Ole: „Willst Du diesen Krieg?“
Sie: „Nein.“
Lama Ole: „Dann laß es.“

Banaler geht es nicht. Und doch stockte den tausend Menschen im Saal der Atem. Denn jeder spürte und begriff: Wahrer geht es nicht! Mein Leben war nach diesem Satz ein anderes. Ich ließ es! – und beendete den Scheidungskrieg. Auf nur vier Seiten Scheidungsfolgenvereinbarung regelten wir gemeinsam alles, was nötig war. Durch uns wurde kein Anwalt reich.

Meine erste Scheidung rund zehn Jahre zuvor war traumatisch und katastrophal. Bei dieser, der zweiten, fragte der Richter beim Scheidungstermin verdutzt: „Sind sie hier, um sich scheiden zu lassen – oder wollen sie heiraten?“, weil wir so heiter und harmonisch gestimmt waren. Mit Mirtazapin wäre das nicht möglich gewesen.

Heilsame Schönheit: Bäume

„Ich verstehe nicht, wie man an einem Baum vorübergehen kann und nicht beglückt sein, daß man ihn sieht?“, sagte Dostojewski. So geht’s mir auch. Deshalb zeige ich Ihnen hier besonders beglückende Bäume, an denen ich vorübergegangen bin. 

Bergahorn

Schwer gezeichnet vom Schneebruch des Winters steht diese Eiche allein im Alpenvorland. Bald schießt das Wasser in den Stamm, und sie kann mit ihrer Heilung in der Frühlingssonne beginnen. Unter Nadelbäumen steige unser Blutdruck, las ich bei Baum-Guru Peter Wohlleben, unter Eichen falle er entspannt ab. Deshalb: Eichen nicht weichen, sondern suchen.
Bei Murnau, im Hintergrund Jochberg und Heimgarten

K.k.K.Kommentare kluger Kinesiologen

„Die Gründe für eine kinesiologische Behandlung sind so unterschiedlich wie die Zeitspannen, die für eine Problemlösung benötigt werden. Eines gilt immer: In dem Maße, wie Klienten sich emotional und mental wandeln, kann Heilung erfolgen, und dies oft auch auf der körperlichen Ebene.

Die Art und Weise der Wandlung kann unterschiedlich ablaufen: mit blitzartigen Aha-Erlebnissen und ebenso schneller Umsetzung, oder als steiniger Weg, der mit vielen Tränen und schmerzlichen Erfahrungen gegangen wird. Wandlung ist eine Form von Lernen. Das Ziel ist, das eigene Leben von einer anderen Perspektive aus betrachten und beurteilen zu können. Das ist Bewegung im kinesiologischen Sinn.

Über den Muskeltest hinaus kann man zahlreiche Übungen anwenden, mit denen man sich in manchen Situationen schnell selbst helfen kann. Ihren Ursprung haben sie entweder in der Traditionellen Chinesischen Medizin oder sie entstammen der neurologischen Forschung.

Die kinesiologische Arbeit ist eine Kunst, die viel Wissen und großes Bewußtsein erfordert.“
Andreas Niklas

Lesefrucht: Wer B sagt, sollte auch A sagen

„Wenn man gleich an den Beginn einer Beziehung den Koitus setzt, gibt es keine Neurosen, verkündete schnoddrig und kühl Dr. med. Benn, Spezialarzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, wie es auf seinem Rezeptzettel hieß. Wir kennen diesen Doktor aus Berlin – wenn ihn denn noch jemand kennt, ohne bei Dr. Google nachsehen zu müssen – als Gottfried Benn (1886-1956), Dichter, und als solcher einer der größten des 20. Jahrhunderts.

Den Koitus als Mittel gegen Neurosen, das lehrten schon die alten Chinesen im Taoismus und die Inder im Tantra. Auf körperlicher Ebene schließt sich die heutige Forschung dieser Sicht an und nennt als meßbare Vorteile von Sex u.a.: Streßabbau, Vorbeugung von Herzkrankheiten, antidepressive Wirkung, gut gegen Schlafstörungen,  Senkung des Cholesterinspiegels, Stärkung der Knochen und Schmerzlösung.

Der Psychologe und Psychotherapeut Dirk Revenstorf bringt eine weitere Perspektive ins Spiel: die Bedeutung von Sex für die Paar-Beziehung. Auch Revenstorf zitiert Gottfried Benn – mit der wunderbaren Sentenz „Die Ehe ist eine Institution zur Lähmung des Geschlechtstriebs. Benn wußte, wovon er sprach – er war dreimal verheiratet.

Revenstorf beleuchtet in seinem Buch „Liebe und Sex in Zeiten der Untreue. Wege aus der Verunsicherung“ das Spannungsfeld von Liebe und Begehren, das in jeder Paar-Beziehung von großer Bedeutung ist, auch wenn wir es oft nicht wahrhaben wollen. Und er bricht eine Lanze dafür, Fünfe gerade sein zu lassen, wenn das Begehren sich mal einen Auslauf jenseits der Liebe sucht. Dann können wir Sex wunderbar als Mittel zum persönlichen Wachstum nehmen. Hören Sie Revenstorf selbst:

„Wer sich auf eine langfristige Liebesbeziehung einläßt, begibt sich in ein Spannungsfeld zwischen Liebe und Loyalität zum Partner seiner Wahl auf der einen Seite und dem sexuellen Begehren auf der anderen Seite. Beziehung und sexuelles Begehren werden nicht immer zur Deckung gebracht, und es entsteht manchmal eine Dissonanz zwischen dem Bedürfnis, sich selbst und seinen Bedürfnissen treu zu bleiben, und der Treue zum Menschen, den man am meisten liebt.

Für die daraus entstehenden Konflikte potentieller Untreue gibt es keine einfache Lösung, und jedes Paar muß einen eigenen Weg finden. Das ist Arbeit. Es wäre Selbstbetrug und es wäre ein Verlust für die Beziehung, das Thema Untreue ängstlich zu meiden, weil darin trotz aller Verletzungsgefahr Möglichkeiten für die Entwicklung der Beziehung der beiden Partner liegen.

Sex ist nicht einfach eine Teilmenge von Liebe. Beide profitieren voneinander, und es fehlt der Liebe ohne Sex eine vitale Qualität. Doch auch ohne Liebesbeziehung ist Sex in vieler Hinsicht eine grandiose Ressource des Wohlbefindens: physiologisch, emotional, spirituell.

Auf der anderen Seite sind die Vertrautheit und emotionale Verbundenheit, die bei einer langfristigen Liebesbeziehung möglich sind, wahrscheinlich die Quelle größter existentieller Sicherheit, die es für Menschen gibt. Das Dilemma ist: Die Objekte von Liebe und Lust sind nicht immer dieselben. Man kommt nicht daran vorbei: Es gibt zwei Arten von Sex: Abenteuer-Sex (A) und Bindungs-Sex (B).

B-Sex kann die emotionale Nähe und die seelische Verbundenheit der Liebenden vertiefen und ihnen das Gefühl geben, in einer elementaren Weise füreinander da zu sein. Der Orgasmus ermöglicht eine gegenseitige Öffnung, die über jeden gedanklichen Austausch hinausgeht.

In der sexuellen Vereinigung sind die Partner in der Lage, alle vordergründigen Frustrationen zwischen ihnen und um sie herum hinter sich zu lassen und allen Streit zu vergessen. Insofern bietet Sexualität etwas, dass alle anderen Kommunikationsmöglichkeiten übertrifft. Damit ist das Verbindende beschrieben, dass Sexualität möglich macht.

Es gibt aber auch einen Aspekt, der von der Fremdheit lebt. Denn es gibt A-Sex, der in relativer Anonymität stattfindet, als One-Night-Stand, Spontanfick, im Extremfall im Darkroom. Der Reiz dieses total unverbindlichen, momentan bedürfnisgesteuerten Zusammentreffens liegt in der schnellen Eroberung außerhalb gesellschaftlicher Ordnungen, in der einvernehmlichen gegenseitigen Befriedigung ohne Umstände, der beziehungslosen, geradezu anarchistischen Begegnung. In der Überschreitung von Grenzen des Anstandes und der Vernunft. Allein schon deswegen hat die ungeregelte Sexualität den Charakter der Befreiung – die Obszönität als die letzte Bastion gegen die Übermacht der Rationalität.

Beide Formen von Sexualität unterscheiden sich hormonell: B-Sex findet mit vertrauten Partnern statt und vermittelt Geborgenheit und Nähe. Das Gefühl der Verbundenheit mit dem Partner wird von dem Bindungshormonen Oxytocin bei der Frau und Vasopressin beim Mann verstärkt.

Die unverbindliche sexuelle Begegnung mit dem Touch des Unerlaubten vermittelt den Kick der Neuigkeit, des Abenteuers, des Ausbruchs aus dem geregelten, durch Verantwortung versklavten Leben und ist mit der Ausschüttung der Hormone Dopamin, Serotonin und Adrenalin verbunden. Die Dopamin-Rezeptoren im Gehirn sind individuell unterschiedlich zahlreich, und damit variiert die erotische Abenteuerlust.

In der Begegnung mit dem Fremden gelingt es eher, das zu sein, was man sein möchte. Die ungewohnten Umstände und eine fremde Umgebung lassen Seiten hervortreten, die in den Konditionierungen der alltäglichen vier Wände keine Chance haben.

Sex innerhalb der langfristigen Beziehung ist etwas anderes als im Seitensprung, und es wäre dumm, sich wegen einer kurzen Affäre in verständnisloser Entrüstung zu trennen. Fürchte nicht das Übel, denn es wohnt ihn dir, könnte man alttestamentarisch sagen. Anstatt sich als Büßer Asche auf sein Haupt zu streuen, kann man es akzeptieren und einen Weg finden, damit zu leben und die Verantwortung für diesen unbezähmbaren Teil zu übernehmen.

Auf den Abenteuer-Sex zu verzichten heißt unter Umständen, sich um das heißeste Liebesabenteuer zu bringen. Um etwas, das unvergeßlich bleibt und das Leben mit dem bißchen Drama dekoriert, daß unser in der Komfortzone durchgestyltes Leben sonst kaum noch zuläßt.

Den A-Sex ängstlich zu meiden würde die Chance nehmen, mit den Abgründen der eigenen Existenz in Berührung zu kommen, von sie selbst mehr als das Bild des Biedermanns kennenzulernen und die unverhohlene Freude des Brandstifters zu genießen.

Frauen wird oft geraten, sich rar zu machen, unerreichbar zu sein und uninteressiert zu tun und ja nicht von sich aus auf den Mann zuzugehen, ihn anzusprechen oder anzurufen. Diese Verhaltensregel wird mit dem Preis sexueller Abstinenz bezahlt, dem Verzicht auf den wilden Teil der Natur.

Sicher gibt es für Frauen manchmal gute Gründe, den Zugang zur Vagina zu begrenzen – vergangene oder gegenwärtige Verletzungen, deren Wiederholung keine Bereicherung darstellen würde. Sex ist auch ohne Bindungsanliegen eine Quelle der Energie und der Lebensfreude für Mann und Frau. Man muß ihn nicht rationieren. Das Prinzip der künstlichen Verknappung, sei es aus Bindungsscheu oder zur Erhöhung des Marktwertes, degradiert Sex zur Handelsware und die Partner zu Pokerspielern oder zu Trophäen.“

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