Wie ist das, wenn uns etwas plagt? Haben wir Grippe, Rückenschmerzen oder eine Depression? Ist das, was wir da haben, eine Sache, ein Gegenstand – wie ein Buch oder ein Schal? Das Buch können wir mitnehmen oder zu Hause liegen lassen, wenn wir unterwegs sind. Die Rückenschmerzen nicht. Die sind immer dabei.
Das andere Extrem lautet: „Ich bin Asthmatiker, ich bin schwermütig, ich bin Allergiker“. Da identifizieren wir uns mit einer Diagnose, sind deckungsgleich mit der Krankheit, der Störung, dem Defizit.
Beide Wahrnehmungsweisen führen uns in die Irre. Wir können eine Krankheit nicht ablegen wie einen Schal – und wir sind nicht identisch mit einer Krankheit. Beide Sichtweisen blockieren unsere Heilung.
Die Objekt-Haltung „Ich habe etwas“ führt dazu, daß wir unsere Gesundheit auslagern und an Experten übergeben; die kümmern sich drum, die richten das. So werden wir selbst zum Objekt, mit dem andere etwas machen. Wir selbst sind ohnmächtig.
Die Identifikations-Haltung „Ich bin dies oder das“ führt dazu, daß wir keine Distanz zur Krankheit oder Störung haben. Wir sind sie – bis in die letzte Pore. Folglich hängen wir an ihr, wollen sie nicht hergeben, weil sie uns ausmacht. Die Krankheit wird identitätsstiftend.
Und es gibt meist nie die eine Ursache, die man im MRT, im Blutbild oder auf einer Röntgenaufnahme sieht. Die Gesamtheit unserer Lebensumstände wirkt zusammen: Familie, Ahnenreihe, soziales, kulturelles und berufliches Umfeld, Ernährung, Liebesleben, finanzielle Lage etc.
Es ist wie bei einer Lawine: Die Schneedecke wächst langsam, Flocke für Flocke. Die letzte Schneeflocke, die die Lawine dann auslöst, ist aber nicht mehr Ursache für das Abrutschen als die vielen anderen zuvor.
Also weder Haben noch Sein? Was dann? Störungen der Gesundheit aller Art sind ein Geschehen, ein Prozeß, ein Kontinuum. Etwas geschieht in und mit uns – und es baut sich über einen langen Zeitraum auf. Wir haben es nicht, wir sind es nicht. Dieses Geschehen ist eine zeitlang auf eine seltsame Weise ein Teil von uns.
Aber eben nur ein Teil von vielen. Über die anderen Teile können wir frei verfügen, wir können sie aktivieren und steuern und sind somit weder den Experten ausgeliefert, noch sind wir mit der Krankheit eines. Wir haben Luft zum Atmen, Raum zum Denken, Beweglichkeit zum Fühlen.
Da ereignet sich Heilung. Ich wiederhole das entscheidende Wort: ereignet. Wir machen Heilung nicht – kein Mensch kann das. Was wir können, und was wir oft tun: Heilung blockieren und verhindern, z.B. dadurch, daß wir in den Kategorien Haben oder Sein denken und handeln.
Der Schatten, den eine Wolke auf eine Wiese wirft, ist nicht die Wiese. Sie hat diesen Schatten auch nicht. Der Schatten zieht über die Wiese hinweg, verdunkelt sie für eine gewisse Zeit, doch er ändert nichts am Wesen der Wiese. |