Seitenblick - Der Newsletter von Odysseus Kinesiologie & Coaching

Positives Denken, Medien und Burgunder

Meine Themen heute für Sie: Das heißgeliebte „positive Denken“ richtet viel Schaden an | Heilsame Schönheit: Bäume tun uns gut | Medien sind Energieräuber | Altwerden mit Ofen und Burgunder. Viel Vergnügen beim Lesen. 

Eine Bitte: Wenn Sie jemand kennen, den das, was ich hier erzähle, interessiert, leiten Sie ihm diesen Newsletter weiter. Dankeschön.

Wolfgang Halder, Odysseus Kinesiologie & Coaching

Der Fluch des positiven Denkens

Das „positive Denken“ hat in den letzten Jahren eine große Karriere hingelegt: Ob Frauen-Zeitschrift oder Talkshow, Lebenshilfe-Literatur oder Selbsterfahrungs-Workshop, Facebook oder Instagram-Filmchen – alle sind sich einig: Wann immer es darum geht, mit den Problemen und Unwägbarkeiten des Lebens zu Rande zu kommen, hilft eines auf jeden Fall: positiv denken!

An Probleme zu denken schaffe nur Probleme, heißt es, also denkt man lieber an Friede, Freude, Eierkuchen – und schon hat man Friede, Freude, Eierkuchen. Wir können uns alles so zurechtdenken, wie wir es brauchen, lautet die Psycho-Ideologie unserer Zeit. 

Wozu sich mit sich selbst befassen, wozu sich mit den Wahrheiten und Lügen der Herkunftsfamilie herumschlagen, wozu jahrelang in einer Therapie das hübsch verpackte Elend der Kindheit durcharbeiten, wenn es doch auch ein Online-Kurs „Positiv denken“ am Sonntagnachmittag tut.

Da bekommt man von einem ohne Punkt und Komma plappernden Experten „10 Hacks“ verabreicht, wie man sich ruckzuck und rückwirkend eine glückliche Kindheit zusammenbasteln kann. Ganz einfach mit positivem Denken – und schon ist alles gut: Man wird erfolgreich, verdient mehr Geld, findet den passenden Partner, bekommt den Traumjob, nimmt ab ...

Doch da ist noch etwas, das sich Wirklichkeit nennt. Das ist das, was sich außerhalb der Lebenshilferatgeber, Instagram-Reels und Online-Psycho-Quickies erreignet.

Und darum geht es: Wirklichkeit und Wahrheit! Wer behauptet, man könne, was einem in frühen Jahren durch Eltern und Geschwister widerfahren ist, durch etwas „positives Denken“ loswerden/korrigieren/überwinden/verarbeiten, der ist – vornehm formuliert – ein Scharlatan

Was braucht es zum „positiven Denken“? Den Willen, sich selbst zu betäuben und zu belügen. Das ist verständlich. Doch es hilft nicht. Was braucht es, um der Wahrheit über sich selbst ins Auge zu sehen? Mut

Mut, all die Scham und Wut, all die Angst, Einsamkeit, Verlassenheit endlich wahrzunehmen, die man sich als Kind aus „Rücksicht“ auf Mama oder Papa nicht gestattet hat. 

Sie merken, werte Leser, daß mir bei diesem Thema der Puls hochgeht. Denn ich erlebe es immer wieder, daß mir Klienten, denen der emotionale Schmerz aus allen Poren quillt, freundlich lächelnd erzählen, sie hätten eine glückliche Kindheit gehabt.

Da ist die ganze Familie erstarrt und verstummt, wenn der Vater heimkam. Aber man hatte eine glückliche Kindheit. Ja, Papa hat herumgebrüllt und auch mal die Hand erhoben, aber eigentlich war er nett. Ja, der Bruder hat einen gedemütigt und gepiesackt wann immer es ging, doch er ist ein Charmebolzen. Ja, die Mutter war nur physisch anwesend und man konnte ihr seine Sorgen nicht anvertrauen, doch sie hat immer Kuchen gebacken und einen zum Ballett gefahren.

Wenn mir eine Klientin erzählt, wie sie als Kind mißbraucht wurde und dabei sanft lächelt, als erzähle sie von einem heiteren Kindergeburtstag, und ihre Geschichte beendet mit einem: „Aber man muß ja positiv denken!“, dann möchte ich all den Positiv-Denken-Gurus eine Ohrfeige geben. Mindestens eine ...

„Man muß positiv denken!“ bedeutet: Ich bin selbst schuld daran, daß es mir schlecht geht. Wenn ich positiv denken würde, ginge es mir besser. Ich bin ein Versager, wenn ich es nicht schaffe, positiv zu denken. Darauf läuft das Positiv-Denken hinaus.

Letztlich bedeutet es, daß wir glauben, der Wahrheit und der Wirklichkeit nicht gewachsen zu sein. Deshalb müssen wir sie uns schöndenken. Die Angst vor der Wahrheit unseres Lebens blockiert unsere Reifung und Heilung.

Emotionale Narben müssen ebenso entstört werden wie körperliche. Dazu braucht es vollständiges Denken. Und das geht nur, wenn wir die ganze Wahrheit wahrnehmen und spüren und durchdenken. Wenn wir die Finsternisse und die Schatten unserer Herkunftsfamilie nicht wahrhaben wollen, behalten sie ihre Macht über uns und wir geben sie an unsere Kinder weiter.

Der andressierte, verkrampfte Optimismus des postiven Denkens verhindert Wachstum, verhindert, daß wir wirklich hinsehen, was mit uns von wem gemacht wurde und wie sich das auf unser Leben bis heute auswirkt, wie es uns blockiert und behindert, quält und unglücklich macht.

Heilsame Schönheit: Bäume

„Ich verstehe nicht, wie man an einem Baum vorübergehen kann und nicht beglückt sein, daß man ihn sieht?“, sagte Dostojewski. So geht’s mir auch. Deshalb zeige ich Ihnen hier besonders beglückende Bäume, an denen ich vorübergegangen bin. 

Zwei Bergahorn-Geschwister leuchten in der Mittagssonne. Bald pflücken die Herbststürme ihre blonden Locken, bald sind sie kahl, bald sinkt ihre Kraft in die Stille und sammelt sich in der kühlen Tiefe für neue Blätter, neues Leben.
Beim Achensee, Tirol

K.k.K.Kommentare kluger Kinesiologen

„Wenn wir wenig Lebensenergie haben, können wir von emotionalen Haltungen, die gerade ‚herumgehen‘ geradezu infiziert werden. Täglich sind wie durch Fernsehen, Radio und Zeitungen Tausenden von Menschen mit negativer Energieausstrahlung ausgesetzt. Jede Gewalttat im Fernsehen, schwächt unsere Lebensenergie.

Es ist einfach nicht möglich, ein Bild von einem Attentat, einem verstümmelten Körper oder einem Verkehrsunfall anzuschauen, ohne daß die Lebensenergie absinkt.

Es gibt jedoch auch die andere Seite: Ein Foto von einem Feuerwehrmann, der ein gerade gerettetes Kind in den Armen hält, wirkt positiv auf uns und spendet uns neue Lebensenergie.

Leider überwiegen in den Medien die negativen Einflüsse beträchtlich. Angesichts des kumulativen Effekts ist es nicht verwunderlich, daß wir in einer Gesellschaft leben, deren Kennzeichen das niedrige Energieniveau ist.“
John Diamond

Lesefrucht: Im Herbst des Lebens ...

Heute gibt’s mal wieder ein Gedicht. Passend zum Herbst geht’s um das Altwerden – und so heißt auch das Gedicht:

Altwerden

All der Tand, den Jugend schätzt,
Auch von mir ward er verehrt,
Locken, Schlipse, Helm und Schwert,
Und die Weiblein nicht zuletzt.

Aber nun erst seh ich klar,
Da für mich, den alten Knaben,
Nichts von allem mehr zu haben,
Aber nun erst seh ich klar,
Wie dies Streben weise war.

Zwar vergehen Band und Locken
Und der ganze Zauber bald;
Aber was ich sonst gewonnen,
Weisheit, Tugend, warme Socken,
Ach, auch das ist bald zerronnen,
Und auf Erden wird es kalt.

Herrlich ist für alte Leute
Ofen und Burgunder rot
Und zuletzt ein sanfter Tod -
Aber später, noch nicht heute.

Hermann Hesse

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